Was wir wirklich brauchen – Die Bedeutung von Passion und Ostern in Zeiten der Corona-Krise

Gottesdienste sind abgesagt. Gruppen und Kreise der Gemeinden können sich nicht treffen. Keine Konzerte, Jugendtreffs, Seniorennachmittage, Konfirmandenfreizeiten. Taufen, Trauungen, Konfirmationen sind verschoben. Die Frage drängt sich auf: Findet Kirche eigentlich noch statt? Oder verschwindet mit dem Hereinbrechen der Corona-Krise jetzt auch noch die verbleibende Restgemeinde? Was bleibt, wenn die Menschen, die sich auf traditionelle Weise zur Kirche halten, sich nicht mehr versammeln können?

„Vereinskirche“ in der Krise

Eines steht fest: die „Vereinskirche“ befindet sich in ihrer größten Krise, seit im 19. Jahrhundert überall Gemeindehäuser als christliche Freizeitheime entstanden und sich Gemeinden wie kirchliche Ortsvereine entwickelten. Der erste Reflex ist der Griff nach digitalen Angeboten: Livestream-Gottesdienste, ähnlich den befürchteten Geisterspielen der Bundesliga, sollen als Kleinstveranstaltung in großer Kirche den Sonntags- und Festgottesdienst ersetzen. Der eigene Pfarrer auf dem Bildschirm – weckt das wirklich Vertrauen und Aufgeschlossenheit für geistliche Inhalte? Mancher mag die Lieder tatsächlich vor dem heimischen Rechner mitsingen und einige Pfarrpersonen erfreuen sich zumindest in den ersten Wochen Teilnehmerzahlen, die sie mit normalen Gottesdiensten vor Ort nicht gehabt hätten. Zweifel an der wirklichen Relevanz dieser Angebote bleiben angebracht und seriöse empirische Untersuchungen dazu stehen noch aus. Das kuschelige Gruppengefühl jedenfalls ersetzt das Livestream-Angebot sicher nicht.

Kinder entdecken den Regenbogen-Gott

Derweil malen Kinder, die sich mit ihren Freunden und Freundinnen nicht mehr treffen können, an vielen Orten Regenbogenbilder und hängen sie in die Fenster. Manche malen auch direkt mit Fingerfarbe auf die Glasscheibe. Häufig sieht man neben dem Regenbogen noch den Schriftzug „Alles wird gut!“ Damit ist der Regenbogen als Symbol der Sehnsucht und der Hoffnung qualifiziert. „Ich gebe euch die feste Zusage: Ich will das Leben nicht ein zweites Mal vernichten“, sagt der Gott, der den Regenbogen zum Bundeszeichen wählte, als die Zeit der Sintflut endlich vorbei war. Er setzt seine Verheißung des Lebens gegen die Bedrohungen des Lebens. Wie schön, wenn junge Menschen diese Wirklichkeit für sich entdecken und zum Ausdruck bringen.

Corona-Angst und Schuldzuweisungen

Und wie ist es bei uns Erwachsenen? Wenn ich die Fotos mit den Sargreihen aus Italien in den Nachrichten sehe, dann bin ich fassungslos. Diffuse Angst steigt in mir auf. Die Bilder haben etwas Apokalyptisches. Eine Brise Endzeitstimmung weht durch die Zeit. Und ich erinnere mich, dass Menschen immer wieder solche Zeiten erlebten, etwa die großen Pestepidemien. Lässt sich der Gott des Regenbogens doch immer wieder zu Strafaktionen hinreißen? Zu allen Zeiten jedenfalls haben auch Christen Schuldige für das Übel ausfindig gemacht. Selbst Martin Luther ließ sich angesichts des Wütens der Pest im hohen Alter dazu hinreißen, die Juden zu Schuldigen zu stempeln. Meine Tochter berichtete mir, wie eine Freundin mit asiatischem Aussehen auf der Straße beschimpft und beleidigt wurde. Der Zusammenhang zur Corona-Gefahr, die aus Asien zu uns herüberkam, war deutlich.

Osterbotschaft in Corona-Zeiten

Nein, der Gott des Regenbogens hat sich nicht umentschieden. Das ist der Inhalt des Osterglaubens. Er steht an der Seite der Leidenden und auch an der Seite derer, die zu Sündenböcken gestempelt werden. Der christliche Gott ist der, der das Leiden der Menschen nicht ignoriert, der es sieht und mitleidet, der die Ängste der Menschen kennt. Christ ist erstanden! – der Osterruf der Christen bedeutet: Corona siegt nicht, so verheerend die Pandemie sein mag, auch wenn mir die Krankheit näherkommt, als mir lieb ist. Denn er ist der, der den Tod überwunden hat. Mir hilft es, mir das klarzumachen. Meine Ängste verschwinden dadurch nicht, aber ich komme besser mit ihnen zurecht. Ob wir zu Ostern unbedingt offene Kirchen brauchen oder Livestream-Gottesdienste, weiß ich nicht. Auf die Osterbotschaft selbst kann Kirche nicht verzichten. Jeder kann dazu beitragen, sie für andere zu übersetzen. Rufen wir sie uns mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu, durch das Telefon, per WhatsApp oder über den Gartenzaun: Christ ist erstanden. Halleluja.

 

Autor: Kai Pleuser , Pfarrer z.P.
Evangelische Kirchengemeinde Wesseling