Jetzt ist Sommer!
In der Ferienzeit öffnen sich wertvolle „Spiel-Räume“ – eine Kunst, sie gut und verantwortungsvoll zu nutzen.
von Kai Pleuser
Johlende Kinder kommen aus dem Schulgebäude gerannt: Endlich Ferien! Mit dem Stoßseufzer ändert sich nicht nur für Schülerinnen und Schüler das Zeitempfinden. Nicht nur für Lernende und Lehrende gibt es ein Davor und ein Danach. Ferienzeiten sind in ihrer besonderen Qualität weit über den Schulbetrieb hinaus spürbar und strukturieren das Jahr.
Ferien bringen Freiräume ins Leben
Selbst in Wirtschaftsunternehmen läuft es anders in Ferienzeiten: Wichtige Sitzungen mit einem größeren Teilnehmerkreis werden in dieser Zeit vermieden. Schließlich gibt es immer irgendwo einen Teilnehmer, der als Vater eines Schulkindes mit seinem Urlaub auf Ferienzeiten festgelegt ist oder eine Teilnehmerin, die sich bei der gemeinsamen Reiseplanung an dem an Ferienzeiten gebundenen Partner orientieren muss. Vielerorts pausiert das Vereinsleben, Volkshochschulen und Musikschulen unterbrechen ihre Unterrichtstätigkeit, und auch im kirchlichen Leben weht ein anderer Wind: Konfirmandenunterricht, Chöre, Gesprächskreise, Presbyterien, Ausschüsse und andere Gruppen setzen mit ihren Treffen aus. Terminpläne entspannen sich etwas. Freiräume entstehen.
Von der Aussicht auf Ferien getragen
Ferien bringen eine Befreiung auf Zeit aus dem engen Korsett der Terminpläne und des Leistungsdrucks. Das erleben Menschen als wohltuend. Danach sehnen sie sich. Ferien sind nicht gleichbedeutend mit Urlaub, aber Erholung und Urlaub gehören unbedingt dazu. Die Vorfreude versetzt viele Menschen schon Monate zuvor in einen anderen Energiestatus. Es ist motivierend, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, zu wissen, dass Zeiten kommen, in denen man durchschnaufen und sich erholen kann. Urlaubsfotos am Arbeitsplatz erinnern daran. Aber nicht nur der Urlaub wirkt entlastend. Ferien können auch Freiräume schaffen, endlich einmal aufzuräumen, endlich über die eine oder andere Sache einmal gründlich nachzudenken, Dinge für sich selbst neu zu ordnen oder zu planen. In Aussicht stehende Freiräume prägen auch die Zeit davor. Kluge Arbeitgeber lassen für die Vorfreude genügend Raum.
Raum für Spiel und innere Ruhe
2001 sangen die Wise Guys in Ihrem Sommerhit: „Jetzt ist Sommer, egal ob man schwitzt oder friert,
Sommer ist, was in deinem Kopf passiert.“ Der Sommer wird zum Bild für die innere Freiheit, für die Freiräume, die im Kopf entstehen, Freiräume für die Fantasie. Und wenn Fantasie probeweise in Leben umgesetzt wird, dann ist das Spiel. Einmal etwas Neues probieren, ein neues Hobby, eine verrückte Idee umsetzen, den Tagesrhythmus verändern – spielerische Gestaltung des Lebens ist ein Urbedürfnis des Menschen. Religiöse Sprache kann dies im Begriff der Gottebenbildlichkeit zum Ausdruck bringen. Beim Spiel scheint im Menschen etwas von der freien Schöpferkraft Gottes auf. Und die Vorstellung, dass der Mensch zum Bild Gottes geschaffen wurde, besagt dann, dass der Mensch in der schöpferischen Aktivität auch zu sich selber kommt. Gleiches gilt für die Ruhe, das Genießen dessen, was ist und geschaffen wurde: Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Freies Spiel und innere Ruhe – beides zusammen drückt sich im deutschen Wort „Muße“ aus. Beides braucht Freiräume. Darum brauchen wir Ferien.
Ohne Spielregeln gibt’s leicht Zoff
Häufig ausgerechnet in den Ferien, nicht selten im Urlaub, kommt es zu Spannungen in der Familie oder unter Freunden, mit denen man die Zeit verbringt. Die Erwartungen an das, was in den zur Verfügung stehenden Freiräumen geschehen soll, sind hoch und die konkreten Vorstellungen, wie das Leben dann aussehen soll, sehr unterschiedlich. Das führt leicht zu Konflikten. Ferien sind auch ein Trainingsfeld, um über die eigenen Wünsche, Fantasien, Vorstellungen mit anderen ins Gespräch zu kommen. Dann stellt sich häufig heraus, dass nicht alle Vorstellungen gut zusammenpassen. Kompromisse müssen her, damit alle etwas zu ihrem Recht kommen. Manchmal hat es auch mit dem unterschiedlichen Timing zu tun: Während der eine direkt aus dem Job in den Urlaub startet und erstmal Entspannung und Ruhe braucht, ist der andere bereits voller Abenteuerlust, etwa weil er schon eine Woche Entspannung hinter sich hat. Auch beim Ferien-Spiel endet die Freiheit dort, wo wichtige Bedürfnisse anderer zu sehr missachtet werden. Darum ist es eine gute Idee, unter Freunden über die Bedürfnisse zu reden und für die gemeinsame Ferien- oder Urlaubsgestaltung Spielregeln zu klären: Gibt es Rückzugsräume? Gibt es Zeiten, in denen es mal ruhig ist? Gibt es Gemeinschaftszeiten und Zeiten für mich allein?
Begrenzungen der Spiel-Räume
Wo Räume gewährt werden, gibt es Begrenzungen. Das gilt auch für die Ferien. Sie sind zeitlich begrenzt, stehen im Kontrast etwa zum Arbeitsalltag davor und danach und beziehen daraus auch einen Teil ihres Reizes. Wo das ganze Jahr über Ferien sind, verlieren die Ferien ihren spezifischen Wert.
Begrenzungen gelten aber auch für die Gestaltung von Freiräumen. Wer etwa die Grundlage, auf der Freiheiten gewährt werden, aus dem Blick verliert, sägt an dem Ast, auf dem er bei seiner Feriengestaltung sitzt. Der Gedanke der Schöpfung durch Gott macht es deutlich: Unsere Erde, das Ökosystem, das den Rahmen für jedes Ferien-Spiel zur Verfügung stellt, haben wir uns nicht selbst gezimmert, es ist uns geschenkt. Kein Mensch ist in der Lage, die Rolle des Schöpfers zu übernehmen und Leben wiederherzustellen, wenn es erstmal zerstört wurde. Wer Raubbau an der Umwelt betreibt, überschreitet die Grenzen des Spiels. So sollte es denn auch zu fragen erlaubt sein, ob eine Flugreise ans andere Ende der Welt, bei der so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre freigesetzt wird wie von einem normalen Auto mit Verbrennungsmotor in drei Jahren (36.000 km), noch in den Grenzen legitimer Feriengestaltung liegt. So unpopulär dieser Standpunkt ist, ich habe da meine Zweifel.
Kai Pleuser, Pfarrer im Probedienst, Wesseling