»Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« (Markus 9,24)

Was bedeutet eigentliche das Wort »Glauben«? Und woher kommt es, dass wir so selbstverständlich vom christlichen Glauben an Gott sprechen, statt zu sagen: »Ich bin überzeugt von Gott« oder »Ich weiß von Gott«? Der Theologe Gerhard Ebeling (1912-2001) hat in seinem Buch »Das Wesen des christlichen Glaubens« auf etwas Bemerkenswertes aufmerksam gemacht: »die Geschichte des Wortes ›Glaube‹ läßt erkennen, daß es sich nicht um eine allgemein und überall begegnende religiöse Vokabel handelt, daß vielmehr der Begriff des Glaubens, vom Alten Testament herkommend, erst im Christentum seine zentrale und durchschlagende Bedeutung erhalten hat.«1 Mit dem Neuen Testament eignet dem Wort »Glaube« eine für die Beziehung des Menschen zu Gott exklusive Rolle, die es weder in den alttestamentlichen Schriften noch in der hellenistischen und jüdischen Umwelt hatte. Diese zentrale Bedeutung führte dazu, dass das Wort »Glaube« zu einem Merkmal der Christen wurde: So konnten sich die ersten Christen auch einfach als »die Glaubenden« (1. Thessalonicher 1,7; 2,10; 1. Korinther 14,22) bezeichnen und Paulus vom »Gekommensein des Glaubens« (Galater 3,23.25) durch das Auftreten von Jesus Christus sprechen. Die griechisch sprechenden Autoren des Neuen Testaments übernahmen das Wort für Glauben πίστις [pistis] aus der griechischen Version des Alten Testaments, der sogenannten Septuaginta. Von dort her war ihnen die Bedeutung des hebräischen Wortes ןמא [aman] »treu, fest, sicher, zuverlässig sein«
bekannt. Im Neuen Testament findet sich eine gegenüber dem Alten Testament neue »spezifisch christliche«2 Redeweise des Glaubens an Jesus Christus als des Sohnes Gottes. Darin drückte sich aus, dass die ersten Christen ihren Glauben als Antwort auf das Auftreten und die Verkündigung Jesu von Nazareth verstanden. Wenn sie vom »Glauben« sprachen, so redeten sie von der Verkündigung Jesu von Nazareth selbst und von ihm als Sohn Gottes, um auszudrücken, was Gott durch ihn getan hat und weiter tun wird. Man könnte sagen, das Wort »Glaube« bezeichnet im Neuen Testament die Antwort des Menschen auf das Auftreten von Jesus Christus und die Annahme, dass uns in dieser Person das Wort Gottes begegnet. Das Alte Testament »Der Gerechte wird durch seinen Glauben leben.« (Habakuk 2,4) Das Neue Testament »Der aus Glauben Gerechte wird leben.« (Römer 1,17)3 Doch mit dem Auftreten Jesu von Nazareth gewann auch das »Glauben« selbst eine neue Bedeutung. Im Alten Testament ist der »Glaube« als eine von Gott geforderte Haltung verstanden: »der Gerechte wird durch seinen Glauben leben.« (Habakuk 2,4) und beschreibt die »Treue« des Menschen gegenüber Gott. Den genannten Vers aus dem Propheten Habakuk aus dem Alten Testament nimmt der Apostel Paulus im Neuen Testament auf und wendet das Wort Habakuk 2,4 bezeichnend um: »Der aus Glauben Gerechte wird leben« (Römer 1,17). Die von Gott zugesprochene Gerechtigkeit ist nun statt der Folge der Treue des Menschen die Konsequenz aus dem von Gott dem Menschen geschenkten Glauben. Und so kann im Neuen Testament vom »Glauben« als einer Gabe Gottes gesprochen werden: »Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es« (Epheser 2,8). Wie ist es nun aber zu verstehen, dass der »Glaube« als die Antwort des Menschen auf das Wort Gottes, also als eine Entscheidung des Menschen beschrieben ist, und zugleich als ein Geschenk Gottes, das dem Menschen zugesprochen wird? »Ich glaube, hilf meinem Unglauben!« (Markus 9,24) Im Neuen Testament findet sich ein Glaubensbekenntnis in nur einem Satz, das uns unseren eigenen Glauben besser verstehen lässt, insofern wir uns auch dann in diesem Bekenntnis wiederfinden können, wenn wir am eigenen Glauben Zweifel haben. Denn dieses neutestamentliche Bekenntnis weiß um die Möglichkeit des Unglaubens des Menschen. Wer so bekennt, den braucht der eigene Zweifel an Gott nicht zu grämen, kommt uns doch der Glaube als ein Geschenk Gottes gerade dann entgegen, wenn wir ihn von uns aus nicht erkennen. Ein Wort kann uns angenehm und unangenehm treffen, ein Wort kann uns fassungslos machen, uns tragen oder zerbrechen und ein Wort kann uns überraschen. Vielleicht ist das Bemerkenswerteste an dem Wort der Jahreslosung, dass es uns überrascht, dass ein Glaubensbekenntnis nicht aus der Überzeugungskraft des Menschen, sondern aus der Überwindung des menschlichen Herzens lebt, weil wir uns selbst in unserem Unglauben in diesem Wort wiedererkannt finden. Der christliche Glaube geschieht so gerade dann, wenn ich von dem Wort ergriffen bin, das mir von dem, was den Glauben ausmacht, Kunde gibt. Wenn ich aber in diesem Sinne ergriffen bin, dann ist der Glaube an Gott zwar eine Entscheidung, aber keine eigene Leistung, kein Werk, das ich zu vollbringen hätte.
Roman Michelfelder, Pfarrer der Ev. Kirchengemeinde Rondorf