Das Ende nicht…
„Mit Osterglocken wird das dieses Jahr wohl nichts mehr“, sagt die Floristin bedauernd.
„Ostern liegt so spät – da ist alles schon verblüht.“
Die Kundin reagiert sichtlich enttäuscht.
Ostern ohne Osterglocken – das geht gar nicht!
Ich fühle es ihr nach: Nach dem langen Winter die ersten zarten Frühlingsboten – da atmet die Seele auf!
Das Leben kehrt zurück. In der Natur, in meinen Gedanken.
Nur: Mit Ostern hat das nicht viel zu tun!
Die hellgrünen Spitzen an den Zweigen –
als Gleichnis für das Ostergeschehen lügen sie uns in die Tasche.
So tröstlich der Kreislauf der Natur vor unseren Augen erscheinen mag –
Auferstehung ist etwas anderes.
Die Blätter, die im Herbst verwelkt von den Zweigen gefallen sind, kehren nicht wieder dorthin zurück. Die hellgrünen Spitzen, die wir bewundern, sind andere. Neue.
Der Baum, der vom Sturm oder von Kettensägen gefällt ist, steht nicht wieder auf.
Was an der Stelle, an der er gestanden hat, wächst, ist ein anderer Baum.
„Genau zwei Tage, nachdem der Karl gestorben ist, wurde unser Enkelkind geboren…
So sagt man doch immer: Ein Leben geht, ein Leben kommt…
Sie ist unser ganzes Glück, unsere Enkelin – aber mein Mann fehlt mir so sehr!“
Sagt die Frau, die ich ein paar Wochen nach der Beerdigung ihres Mannes wiedertreffe.
An einem Grab werden alle Kirschblütengleichnisse still.
Wo sind sie, die Menschen, die wir lieben – und die uns so sehr fehlen?
Wo geht das Leben hin, wenn es den Leib verlässt?
Jedes Jahr, das wir älter werden, werden wir auch ärmer.
Was gegangen ist, kommt nicht zurück.
Was soll uns da Ostern?
„Wagen Sie einmal an einem Grab den kühnen Gedanken:
Das ist das Ende nicht, denn Gott ist nicht am Ende!“
Diesen Satz habe ich einmal bei einer Beerdigung gehört, und seitdem geht er mir nicht aus dem Kopf. Hier? Am Grab von… – an dem für mich alles aus ist? Das Ende nicht…?
Das heiße: Ostern fängt auf dem Friedhof an.
Hier gilt, was wir singen: „Christ ist erstanden!“ – oder es gilt gar nicht.
„Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten.
Er ist nicht hier. Er ist auferstanden. Und ihr werdet ihn sehen.“
Eine völlig verrückte, kühne Behauptung, die die Frauen damals am Grab Jesu hörten:
Er lebt.
Ein Satz wie ein Erdbeben, das alles auf den Kopf stellt.
Ostern ist kein harmloses Frühlingsfest.
Ostern ist wie durch ein Grab hindurch neu ins Leben sehen.
Ich werde Ostern nicht verstehen, solange ich hier auf dieser Erde lebe.
Aber ich ahne: Wenn ich diesen kühnen Gedanken an einem Grab – wenigstens versuchsweise – einmal zulasse, kann es sein, dass ich erlebe, wie mein Alltag hier und jetzt sich dadurch verändert.
Pfarrerin Renate Gerhard, Brühl