„WiederSprechen“: Vergessene Jugend – Corona und die Generation Z
Es ist ein Paradoxon: Kinder und Jugendliche sind durch das Coronavirus am wenigsten gefährdet, dennoch leiden sie mit am meisten unter den Folgen der Pandemie. Denn soziale Kontakte sind in ihrer Lebensphase besonders wichtig. Die Kontaktverbote während und nach dem Lockdown haben für junge Menschen deshalb besonders gravierende Folgen. Manche haben darüber mit kaum jemandem sprechen können, andere tragen ihre Emotionen anonym in die Sozialen Netzwerke. Der Redebedarf ist riesig – die Möglichkeit dafür zu schaffen, ist das Ziel der Veranstaltungsreihe „WiederSprechen“. Mehr als 50 Gäste haben Ende Mai per Zoom an „Vergessene Jugend: Corona und die Generation Z“ teilgenommen und mitdiskutiert.
Moderator und Journalist Arnd Henze sagt: „Es ist wichtig, zuzuhören und hinzuhören, was in der Öffentlichkeit hinten runter gefallen ist.“ Egal, ob es sich um Wut, Unzufriedenheit, Wünsche oder Hoffnungen handelt. Die Veranstaltung will für die so unterschiedlichen persönlichen Erfahrungen mit der Pandemie einen öffentlichen Raum schaffen – und diese Erfahrungen mit Verantwortlichen in der Stadtgesellschaft ins Gespräch bringen. Joachim Ziefle, stellvertretender Leiter der Melanchthon-Akademie, sagt zum Konzept der Reihe: „Wir haben alle notwendigen Hygienemaßnahmen getroffen, denn wir möchten unseren Experten hier in der Melanchthon-Akademie die größtmögliche Sicherheit bieten.“
Viele Jobs bei den Studierenden sind weggefallen
Jan Gärtner vom AStA der Universität Köln berichtet: „Mein Dienstag startet um 8 Uhr und endet um 22 Uhr, und ich sitze die ganze Zeit vor dem Computer. Ich habe einen Mitbewohner, und wir sehen uns quasi teilweise tagelang nicht, weil ich nicht mehr aus meinem Zimmer komme. Ich versuche pro Woche aber momentan zwei bis drei sehr gute Freunde zu sehen – was mittlerweile leichter ist.“ Finanziell habe sich ebenfalls sehr viel für Studierende verschlechtert, da sie kurze Kündigungsfristen hätten und viele 450-Euro-Jobs weggefallen seien. Viele Studierende, die keinen Anspruch auf Bafög haben, hätten ihre Eltern um Geld bitten müssen oder sogar teilweise wieder zurück nach Hause ziehen müssen. „Wir sind schon sehr heftig getroffen worden“, resümiert Jan Gärtner. „Wir würden auch gerne wieder zurück an die Uni, unter welchen Auflagen auch immer.“
Vereinssport hat es schwer getroffen
Vieles andere ist bei den jungen Menschen auf der Strecke geblieben: „Im Vereinssportbereich haben wir zwei Ebenen, die weggefallen sind: die körperliche Entwicklung und auch im Teamsportbereich den Kontakt untereinander“, sagt Martin Büchel, Geschäftsführer TuS Schildgen in Bergisch Gladbach. „Bei uns entstehen ja eigentlich Freundschaften fürs Leben. Es ist ein Treffpunkt bei uns. Das ist etwas, was man nur ganz, ganz schwer in den digitalen Bereich transportieren kann.“
„Schüler halten tapfer durch“
Anja Veith-Grimm, Schulleiterin Gymnasium Schauerte in Köln, fügt hinzu: „Alle Schüler halten tapfer durch, aber es fehlt ihnen ganz viel – Partys zu feiern, sich zu verlieben. Sie versuchen sich an die Coronaregeln zu halten – aber man muss deutlich sagen, dass sie ganz viel verpasst haben. Wir hatten ja auch Wechselunterricht – da sehen sich die Kinder wieder zwischendrin, aber nicht die ganze Klasse.“ Es sei sehr anstrengend, dass neue Regelungen wie Wechselunterricht so kurzfristig bekannt gegeben wurden und vieles spontan wieder neu geplant werden musste. Gab es nur Negatives, oder auch Positives? „Die Schüler haben aber auch gelernt, mit Unwägbarkeiten umzugehen“, sagt sie. Digital seien die Kinder mittlerweile sehr gut aufgestellt. Und: Die Kinder freuen sich, in die Schule zu gehen.
Großes Interesse an Angeboten
Sabine Gresser-Ritter, Jugendleiterin der Evangelischen Kirchengemeinde Altenberg-Schildgen, bestätigt: „Einiges lief per Zoom, zum Beispiel der Konfirmandenunterricht. Ich erlebe Jugendliche, die sagen, es war in den Ferien zu langweilig. Ich habe aber auch sehr viele Jugendliche erlebt, so ab 17, 18 Jahren, die unglaublich engagiert sind, die Freizeiten planen und vieles mehr. Wir haben immer versucht, so gut es geht, vieles anzubieten. Und alles, was angeboten wird, ist voll – es ist ein großes Interesse dran.“ Sie schätzt, dass es schwierig sein wird, die Jugendarbeit wieder so aufzubauen, wie es vorher war. „Eine Gemeinschaft zu bilden, das war alles nicht möglich.“ Jetzt sei es an der Zeit, Angebote zu machen wie beispielsweise Pizzabacken. „Es wird spannend, wie es sich entwickeln wird – ich weiß es nicht.“
„Familiäre Situation ist eine Katastrophe“
Stephan Glaremin, Leiter des Amts für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Köln, sagt: „Kinderschutz lebt davon, dass Menschen aufmerksam sind – in Schule und Kita usw. Wenn so ein System fehlt, so dass gar keine Meldungen gemacht werden“, sei das sehr problematisch. „Die familiäre Situation ist in der Coronazeit eine Katastrophe. Man lebt auf engstem Raum zusammen. Home-Schooling ist total stressig, das muss man einfach so sagen. Und man kann nicht nur digital aufwachsen.“ Einen Ausgleich im familiären Raum zu schaffen, das sei die Herausforderung. „Man kann auch keinen Mitarbeiterbesuch per Kamera machen – es ging da auch um Mitarbeiterschutz“, an dem man ständig gearbeitet habe. Auch Alleinerziehende seien sehr stark getroffen worden. „Ich glaube, dass Kinder und Jugendliche sehr viel mitgemacht haben. Es ist ein schweres Ringen für alle.“
„Man fühlt sich einsam“
Eine Schülerin berichtet, dass der Workload für den Distanzunterricht zu hoch sei: „Wir können uns nicht mehr mit Freunden treffen, weil wir so viel zu tun haben, und dann fühlt man sich einsam. Wenn wir Präsenzunterricht haben, gehen wir nach Hause, und die Schule ist abgeschlossen. Wenn wir Unterricht zu Hause haben, ist der Schultag irgendwie nie abgeschlossen.“
Rege Diskussion im Chat
Eine Teilnehmerin schreibt in den Chat: „Ich würde mir von den Schulen wünschen, dass es bis zu den Sommerferien mehr um eine Bestandsaufnahme der psychischen und physischen Gesundheit und dem Wissenstand des tatsächlich Gelernten geht und weniger darum, noch ,schnell Leistungsnachweise einzuholen‘.“ Ein anderer Teilnehmer fügt hinzu: „Kinder und Jugendliche haben eine ziemlich konfuse Erwachsenenwelt erlebt. Frage in die Runde: Wie wollen wir Kindern und Jugendlichen für die kommenden Krisen ein zuversichtliches Zukunftsbild vermitteln, damit sie nicht mit einer grundsätzlichen Zukunftsskepsis groß werden.“ „Wir brauchen verstärkt außerschulische Angebote“, regt Büchel für die Zukunft an. In Sportvereinen, in Jugendzentren, im kirchlichen Bereich.
Weitere Termine:
- Juni 2021, 19.30 Uhr- 21h
WiederSprechen: “Abgesagt“ – Corona und die Kunst
Gäste:
- Barbara Förster, Kulturamt der Stadt Köln -angefragt
- Pit Hupperten, Bläck Föös
- Wolf-Rüdiger Spieler, künstlerischer Leiter Trinitatiskirche, Chorleiter
Termine im Herbst 2021: 31. August, 14. September, 26. Oktober, 23. November
Anmeldung unter: anmeldung@melanchthon-akademie.de oder telefonisch unter 0221-931803-0, www.melanchthon-akademie.de
Text: Frauke Komander
Foto(s): Frauke Komander
Der Beitrag „WiederSprechen“: Vergessene Jugend – Corona und die Generation Z erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.