Was tun, wenn Freiheit unfrei macht? Klimaaktivistin Luisa Neubauer und Soziologe Nikolaj Schultz auf der lit.COLOGNE

„Müssen wir unsere Definition von Freiheit ändern?“ Unter dieser sehr grundsätzlichen Leitfrage stand ein Abend der 24. lit.COLOGNE. Zu Gast in den BALLONI Hallen (Ehrenfeldgürtel 88 – 94) waren Klimaaktivistin Luisa Neubauer und der junge dänische Soziologe Nikolaj Schultz. Dessen literarischer Essay „Landkrank“ verhandelt die Verantwortung des Einzelnen angesichts des Klimawandels und das Dilemma, dass altbewährte „westliche“ Freiheitsbegriffe irgendwie nicht mehr in eine Zeit zu passen scheinen, in der auf einer hyperglobalisierten Welt „alles mit allem zusammenhängt“. Müsste vielleicht an die Stelle des biblischen Anspruchs „in der Welt, nicht von der Welt“ zu sein, die Erkenntnis treten: „We live in the world and from the world“ („Wir leben in der Welt und von der Welt“)?

„Being trapped by your own being“ (im eigenen Sein gefangen sein), so beschrieb Nikolaj Schultz den Zustand nicht nur des ihm nicht unähnlichen Protagonisten, sondern des Menschen des 21. Jahrhunderts im allgemeinen – und zog einen Vergleich zur „Neurasthenie“ des 19. Jahrhunderts, die ebenfalls Ausdruck einer kollektiven Überforderung (damals angesichts der Industrialisierung) war. Schultz prognostizierte, die Menschheit stehe vor einem moralisch-ethischen Dilemma: Das Ausleben der individuellen Freiheiten lasse Freiheiten schwinden.

Wie können wir als freie Individuen mit den Folgen des Klimawandels leben?

In „Landkrank“ lässt Schultz seinen Protagonisten vor der unerträglich gewordenen Pariser Sommerhitze (und nicht zuletzt seinen eigenen Gewissenskonflikten) mit einem Boot auf die Mittelmeerinsel Porquerolles fliehen und dabei immer wieder sein „philosophisches und soziologisches Handgepäck“ auf seine Anwendbarkeit auf die krisengeschüttelte Gegenwart prüfen. Luisa Neubauer verfasste das Vorwort Schultz´ Werk. Ihre Aufgabe sah sie darin, alltagstaugliche, einfache Worte für die philosophischen Stellungnahmen des Buches zu finden.

Dessen Kernfrage lautet: Wie können wir als freie Individuen mit den zwangsläufigen Folgen des Klimawandels leben? Der Soziologe und die Klimaaktivistin waren sich darin einig, dass man es mit einer Wechselwirkung zwischen Struktur und individuellem Handeln zu tun habe und sie teilten die Skepsis gegenüber Aktivisten und Aktivistinnen, die zu stark die individuelle Verantwortung betonen.

„Es geht darum, sich selbst als politisches Wesen zu begreifen!“, konstatierte Luisa Neubauer. Aufgrund der zahlreichen parallelen Krisen hätten jedoch viele Menschen resigniert oder sich in den Zynismus geflüchtet. Dabei würden moralische Überheblichkeit, Vorwürfe und Schuldzuweisungen jedoch nicht weiterführen, erklärte Neubauer: „Wenn du willst, dass sich Menschen engagieren, musst du sie dazu bringen, sich selbst leiden zu können.“

Für ihr Lebenswerk hatte Klimaaktivistin Luisa Neubauer im Jahr 2023 den ökumenischen Predigtpreis erhalten. Luisa Neubauer, selbst evangelisch und in der Jugendarbeit ihrer Gemeinde in Hamburg aufgewachsen, nahm die Ehrung „stellvertretend für alle Engagierten in der Klimabewegung“ an. Sie erlebe Predigten und auch Kirche als „Kraftzentren“, weil sie „Menschen aufrichten können und einladen, bewusst zuzuhören und innezuhalten“, sagte sie bei der Preisverleihung. Das sei Voraussetzung, „damit Menschen ihre Sorge in Fürsorge verwandeln können“.

„Freiheit ist mehr als die Abwesenheit von Abhängigkeiten.“

Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg sei, sich der eigenen Abhängigkeiten bewusst zu sein und sie anzunehmen. Schultz forderte eine Transformation von „du lebst für dich selbst“ zu „du lebst von den anderen“ und Luisa Neubauer ergänzte: „Freiheit ist mehr als die Abwesenheit von Abhängigkeiten.“

„Sie sind in den vergangenen Jahren spiritueller geworden“, wandte sich Moderatorin Stephanie Rohde an Luisa Neubauer, die 2023 zu Gast auf dem evangelischen Kirchentag in Nürnberg war und sich dort unter anderem für ein intergenerationelles Klimaengagement ausgesprochen hatte.  Neubauer stellte zunächst klar, was sie unter Spiritualität nicht versteht: ab und zu Yoga zu machen und den gesamten Markt, der sich rund um das Thema Selbstliebe entwickelt hat. Stattdessen gehe es um ein Gefühl der Verbundenheit, Verantwortungsbewusstsein und das Investieren in tragfähige Beziehungen: „Engaging in ethical relations can be an experience of freedom.“ (Sich auf ethische Beziehungen einzulassen, kann eine Erfahrung von Freiheit sein.)

Was den „intergenerational struggle“, den Konflikt zwischen den Generationen, betrifft, brachte Luisa Neubauer, die selbst ein Buch gemeinsam mit ihrer Großmutter geschrieben hat, den religiös konnotierten Begriff der „Vergebung“ ins Spiel und forderte Respekt vor der Lebensleistung der älteren Generation ein. Wir hätten es eher mit einem patriarchalen Konflikt als mit einem Generationenkonflikt zu tun.

Für Nikolaj Schultz verlaufen die Konfliktlinien vor allem zwischen denjenigen, die die Produktion ausweiten wollen und denjenigen, die sie begrenzen wollen. Er plädierte dafür, das Gefühl des Unbehagens als Zeichen der Bewusstheit wertzuschätzen.

Text: Priska Mielke
Foto(s): Priska Mielke

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