Sommergespräch mit Bernhard Seiger: Ukraine-Krieg das alles beherrschende Thema
Mit dem Ukraine-Krieg stand das derzeit alles beherrschende Thema auch im Mittelpunkt des Sommergesprächs des Stadtsuperintendenten. Ein gutes Dutzend Journalisten aus Print und Funk begrüßte Bernhard Seiger auf der Terrasse des Kasinos im Haus der Evangelischen Kirche. Gemeinsam mit Martina Schönhals, Mitglied der Geschäftsführung des Diakonischen Werks Köln und Region, sowie Dr. Martin Bock, Leiter der Melanchthon-Akademie, warf er einen Blick aus protestantischer Sicht auf die brutalen Auseinandersetzungen „nur eine Bustagesreise entfernt“, so Schönhals.
„Es stellen sich die ethischen Fragen nach der Gewaltanwendung“, erklärte Seiger. Die Kirchen müssten aktuell einen Diskurs darüber führen, welche Kriterien sie bei der Urteilsbildung über die Anwendung von Gewalt leiteten. Die evangelische Kirche sei seit Ende des Zweiten Weltkriegs friedensethisch ausgerichtet. Seiger verwies auf die viel beachtete Friedensdenkschrift der EKD von 2007. In der evangelischen Kirche sei eine deutliche Spannung zu spüren zwischen der pazifistischen Ausrichtung und der verantwortungsethischen Argumentation, die Gewalt in Ausnahmesituationen für gerechtfertigt halte. Diese Vielfalt müsse Kirche aushalten. Die Denkschrift greife beide Denkrichtungen auf.
Ziel müsse immer ein gerechter Frieden sein, nicht der Frieden des Stärkeren. Ein Völkerrecht müsse auch durchgesetzt werden können. Sonst sei es kraftlos. Seiger sagte: „Ich positioniere mich klar. Ich halte den Fall der Notwendigkeit rechtserhaltender Gewalt im Ukraine-Krieg für gegeben.“ Denn wenn das Völkerrecht angesichts dieser Aggression nicht wiederhergestellt werde, zerfalle eine ganze Weltordnung. „Insofern halte ich auch deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine für gerechtfertigt, um die Ukraine in der Lage zu versetzen, sich zu wirksam zu wehren.“
Allerdings lade Schuld auf sich, wer Gewalt gegen Menschen anwende. Das habe schon Dietrich Bonhoeffer geschrieben. Zwischen „Schuld und Schuld“ müsse man tapfer wählen. „Denn dem Bedrohten nicht beizustehen, macht auch mitverantwortlich für Leid.“ Es gelte bei allem immer im Blick zu haben, wie eine Friedensordnung mit Russland nach dem Krieg aussehen könne. „Der Primat der Gewaltlosigkeit und die Suche nach einer Friedensordnung muss uns leiten.“
Gemeinsame Friedensperspektive
Mit dem genannten Zwiespalt beschäftigte sich auch Dr. Martin Bock in seinem Statement. Gewaltfreiheit sei ein verantwortungsethisch vertretbares humanistisches Konzept mit dem Ziel und mit der Hoffnung, einander in der Zukunft nicht mehr Feinde sein zu müssen. „In der Tat geht es also darum, Sicherheit neu zu denken – so der Name des Konzepts der badischen Landeskirche auf der Weg des Gerechten Friedens. Es schließt aber ein, dass Menschen in einem Staat das Recht zur Verteidigung der Humanität und der demokratischen Werte haben.“ Und weiter: „Zu unserer europäischen Verantwortung nach der Shoa gehört es meines Erachtens nach, Europa in einer gemeinsamen Friedensperspektive zu gestalten.“
Durch deutsche Schuld sei Osteuropa vom heutigen Polen bis nach Belarus zu einem Haus des Todes geworden. Das dürfe sich niemals wiederholen. Gerade Menschen jüdischer Herkunft, die seit 2022 aus der Ukraine nach Deutschland geflüchtet seien, hätten sehr wohl gewusst, dass sie einen Zug bestiegen, der sie in Sicherheit und Frieden gebracht habe. Und dass ihre Vorfahren Züge nach Osteuropa besteigen mussten, die sie in den sicheren Tod geführt hätten. „Gastfreundschaft, Herberge und Empathie sind die konkreten Gesten der Versöhnung, die nicht durch wohlmeinende aber doch besserwisserische ethische Imperative oder eine Täter-Opfer-Umkehrung unterlaufen werden dürfen. Evangelische Friedensethik sollte davon geprägt sein, die gewaltigen Schuld-Verstrickungs-Zusammenhänge, die der Ukraine-Krieg ausgelöst hat, mit zu bedenken.“
Friedensauftrag des biblischen Evangeliums
Die Melanchthon-Akademie etwa biete 2023 einen ökumenischen Multiplikatoren-Kurs an, der zum Friedenstheologen oder zur Friedenstheologin ausbilde. „Ziel ist es, den Friedensauftrag des biblischen Evangeliums in die ökumenische Gemeindearbeit und in den persönlichen Lebenskontext einzubringen und so einen Baustein für den Weg der Kirchen zum gerechten Frieden zu erarbeiten“, sagte der Akademie-Leiter.
Martina Schönhals warf einen Blick auf die Hilfen für Geflüchtete in Köln. Nachdem die Oberbürgermeisterin das Diakonische Werk, die Caritas und das Deutsche Rote Kreuz um Unterstützung gebeten habe, habe man schnell und unbürokratisch geholfen. „Im Diakonischen Werk arbeiten seit April 6,5 Vollzeitkräfte, zunächst eingesetzt in der Messehalle, seit Ostern dann in der sozialarbeiterischen Beratung der Geflüchteten mit besonderen Bedarfen, die in Hotels untergebracht sind, und seit dem 1. Juni in der Zeltstadt am Südstadion.“
Anders als etwa vor Jahren bei den syrischen Geflüchteten seien die traumatischen Kriegserfahrungen der ukrainischen Menschen, die nach Köln kämen, deutlich präsenter. Als kritisch nehme man bei der Diakonie die Zwei-Klassen-Gesellschaft bei der Behandlung der Geflüchteten wahr. „Es müssen allen die gleichen Möglichkeiten geboten werden: Bei Aufnahme- und Hilfsangeboten, Unterbringung, Aufenthaltstitel, Arbeitserlaubnis und Zugang zu Universitäten und Hochschulen.“
Die Ungleichbehandlung zwischen Geflüchteten aus der Ukraine und denen aus anderen Ländern müsse beendet werden. Schönhals hat auch einen deutlich gestiegenen Beratungsbedarf bei Familien festgestellt, die privat Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen haben. Das Amt für Diakonie hat eine halbe Stelle eingerichtet, deren Inhaberin die Beratung anbietet. „Wir nennen diese Stelle die ,evangelische Stelle‘, weil zahlreiche Gemeindeglieder aus evangelischen Gemeinden privat Geflüchtete aufgenommen haben.“
Zwei besondere evangelische Veranstaltungen – Tauffest und Evangelischer Kirchbautag
Stadtsuperintendent Seiger wies noch hin auf zwei besondere evangelische Veranstaltungen, die in diesem Jahr noch anstehen. Er nannte zum einen das große Tauffest am 13. August im Tanzbrunnen. „Wir haben bereits Anmeldungen von 200 Täuflingen und rechnen mit einer Veranstaltung mit rund 4000 Menschen.“ 50 Pfarrer und Pfarrerinnen werden vor Ort sein. Anmelden kann man sich auf der Internetseite www.tauffest2022.de.
Ein weiterer Höhepunkt im evangelischen Veranstaltungskalender ist der 30. Evangelische Kirchbautag vom 8. bis zum 11. September. Der steht unter dem Motto „Mut baut Zukunft“. Da sei Köln der richtige Ort, sagte der Stadtsuperintendent. „Es wurde bundesweit wahrgenommen, dass wir hier innovative Neubau-Konzepte mutig angehen und umsetzen.“
Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann
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