„In die Zukunft schauen“: Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland besucht das Rheinische Revier

Der Präses zeigte sich hochzufrieden: „Wir haben hier sehr gute Gespräche geführt. Die Menschen sind guten Willens, die Herausforderungen konstruktiv zu meistern.“ Dr. Thorsten Latzel stand vor der Lutherkirche in Kerpen-Buir und zog ein Zwischenfazit der Gespräche, die die Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland im Rheinischen Revier geführt hatte. Thema war der Braunkohleausstieg im Jahr 2030 und der damit verbundene Transformationsprozess. Die Kirchenleitung sprach mit Bürgerinitiativen im Braunkohlerevier, mit Gemeinden, mit RWE, mit Politikern und anderen Akteuren, die sich Gedanken über die Zukunft des Reviers machen.

Markus Zimmermann, Superintendent des Kirchenkreises Köln-Nord, war Teil der Delegation. Einige Gemeinden im Revier liegen in seinem Kirchenkreis. „Der Protest gegen die Kohle ist abgehakt. Hier geht es den Menschen nur noch um eine gute Zukunft. Daraus entsteht Gemeinschaft“, hat Zimmermann festgestellt. Eine gewisse Ungeduld hat er erlebt, weil alles – vor allem in der Verwaltung – so lange dauere. Im Blick haben müsse man bei den Transformationsprozessen auch die Landwirtschaft. „Dort liegen die ertragreichsten Böden Deutschlands.“ Der Superintendent hat viel Dankbarkeit erfahren, es werde gesagt: ‚Die Kirche hört uns zu.‘ Zimmermann erklärte: „Da können wir seelsorglich arbeiten. Und wir können eine moderierende Rolle spielen. Darüber werden wir mit der Landeskirche nachdenken.“

„Das alles macht Mut!“

Auch der Kölner Stadtsuperintendent Bernhard Seiger war bei dieser sogenannten  „landeskirchlichen Visitation“ vor Ort. Teile des Braunkohlereviers gehörten zu seinem Kirchenkreis Köln-Süd, in dem Seiger Superintendent ist. Beeindruckt hat ihn die Tatkraft der Menschen in den Dörfern, die nach dem Kompromiss mit dem Ausstieg 2030 stehen bleiben und nicht weggebaggert werden: „Die alten Kerngebäude der Dörfer bleiben erhalten. Die verbliebenen Bewohner sind engagiert, die Dörfer werden nun neu entwickelt. Diskutiert wird über das Wie. Es gibt eine starke Aufbruchsstimmung in der ganzen Region.“ Narben würden langsam verheilen. Jetzt gelte es, in die Zukunft zu schauen. Dazu seien alle bereit, die er getroffen habe: „Wir haben weiter mit RWE und der Zukunftsagentur gesprochen, die unter anderem für die Gestaltung des gewaltigen Transformationsprozesses in den nächsten Jahren zuständig sind. In der Region zwischen Erkelenz, Bergheim, Kerpen und Düren muss dieser Gestaltungsprozess zur Rekultivierung, der ökonomischen Neuausrichtung, der alternativen Energiegewinnung, der Landwirtschaftsentwicklung und der Schaffung einer lebenswerten Wohnregion gelingen. Eine sehr anspruchsvolle und komplexe Aufgabe.

„Jetzt ist nach den schmerzhaften Konflikten der letzten Jahre nun die Zeit, dass alle gemeinsam daran mitwirken. Das alles macht Mut! Wir müssen die Dinge nun ohne Verzug angehen. Wir haben nicht mehr sehr viel Zeit“, sagte Seiger im Anschluss an einen Gottesdienst, den Latzel, die Buirer Pfarrerin Irene Weyer und Jens Sannig, Superintendent des Kirchenkreises Jülich, liturgisch leiteten. In drei Kurzpredigten stand der Psalm 104 im Mittelpunkt, das „Lob des Schöpfers“.

„Liebe Gemeinde“, begann der Präses: „Wenn wir zurzeit über Schöpfung reden, dann sprechen wir vor allem über den menschengemachten Klimawandel, über Plastik als Zivilisationsmüll in Ozeanen und Flüssen, über das von uns zu verantwortende Artensterben,  über gerodete Urwälder und schmelzende Gletscher, über Wasserknappheit, Verwüstungen, Überschwemmungen.“ Zu Recht, wie er anmerkte. Denn: „Unsere Lebensweise zerstört die Lebensgrundlage kommender Generationen. Sie kostet Menschenleben, bei uns und vor allem in Ländern des globalen Südens. Sie tötet Mitgeschöpfe.“

„Wir leben im Kreislauf der Natur“

Wenn in der Bibel von Schöpfung die Rede sei, werde in ganz anderer Weise gesprochen. „Die Welt liegt in Gottes Hand, nicht in unserer. Die Schöpfung ist sein Werk. Gott schafft, erhält und bewahrt sie. Das nimmt nichts von unserer Verantwortung. Im Gegenteil. Es kann uns vielmehr helfen, die Welt mit anderen Augen zu sehen: als eine schöne, schützenswerte Gabe Gottes auf Zeit. Es kann uns helfen, selbst anders zu leben: dankbarer, bescheidener, einfühlsamer. Und es kann uns helfen, zugleich allem zu widerstehen, was Gottes Schöpfung zerstört.“ Die Schöpfung sei aber selbst nicht Gott, der seine Schöpfung einmal erlösen werde. Sie sei Teil der Geschichte und habe ihre Zeit. Die Menschen müssten lernen, die Schöpfung mit den Augen Gottes zu sehen. „Auch im Anthropozän bleibt die Schöpfung und bleiben wir selbst das, was wir immer schon  waren: ein Werk Gottes, entstanden aus seiner Liebe, geborgen und gehalten in seiner Hand.“

Irene Weyer erinnerte an den Lebensatem Gottes, der im Hebräischen Ruach heiße und in der Bibel in der weiblichen und männlichen Form vorkomme. „Die göttliche Ruach verbindet alles mit allem, verbindet die Schöpferin mit ihrer Schöpfung. Wir Menschen sind auch nur ein Teil dieses Ganzen. Wir leben im Kreislauf der Natur.“ Alles in der Schöpfung sei unteilbar miteinander verbunden. Auch die Sünder und Gottlosen seien ein Teil der Schöpfung. Das sei schwer zu verstehen. „Aber die größten Katastrophen haben die Menschen ja immer dann heraufbeschworen, wenn sie sich das Recht herausgenommen haben, darüber zu urteilen, wer oder was nicht zu dieser Schöpfung dazu gehört.“ Aber im Grunde wisse man doch gar nichts über die wunderbaren Zusammenhänge, die diese Schöpfung bewegten und erhielten. Der Psalm besinge auch, was die Menschen verloren hätten. „Wir hier in Buir, Manhein und Morschenich haben es direkt vor Augen.“ Und er besinge, wonach sich die Menschen sehnten: „Die unversehrte Schönheit der Schöpfung. Sie ist kein  überflüssiges Schmuckwerk, kein Luxus. Sie ist das Eigentliche, sie ist das Wesentliche.“

Superintendent Sannig warf einen Blick in die Historie: „Als Kirchen sagen wir daher schon seit 40 Jahren ,Nein‘ zu dieser Landschaftsvernichtung und Bedrohung des Weltklimas, die von der Verbrennung der Kohle ausgeht.“ In Entwicklungskonferenzen habe man immer wieder Alternativen beschrieben. „Es scheint sinnvoller, die Potenziale, die im Rheinischen Revier vorhanden sind, zu heben und die Kohle im Boden zu lassen. Es braucht menschlichen Willen und menschliche Ingenieursleistung, das zu vollbringen.“ Die Schöpfung sei ein Geschenk, aber auch eine Aufgabe. Sie müsse wertgeschätzt, geschützt und so bearbeitet werden, dass sich auch zukünftige Generationen noch an diesem Gottesgeschenk erfreuen könnten. Schon 1993 habe man im Kirchenkreis Photovoltaikanalgen auf den Dächern der Gemeindezentren installiert. „Im Glauben an Gottes Verheißungen gewinnen unserer Visionen Zuversicht. Bilder des Lebendigen werden zu mehr als zu Tagträumereien. Sie werden zur Überzeugung, dass jenseits unserer Zeit das Reich Gottes wartet, das schon heute mitten unter uns anbrechen will.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

Der Beitrag „In die Zukunft schauen“: Leitung der Evangelischen Kirche im Rheinland besucht das Rheinische Revier erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.