Die Menschen in den Krisengebieten nicht allein lassen

Der Müll türmt sich meterhoch am Ortseingang von Erftstadt Blessem, die Luft riecht leicht nach Öl, viele Menschen räumen auf, andere schauen verzweifelt auf das Wenige, das ihnen nach der Hochwasserkatastrophe vom 15. Juli 2021 geblieben ist. Anfang der Woche hat Pfarrerin Simone Drensler, stellvertretende Superintendentin des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd, den am stärksten betroffenen Stadtteil von Erftstadt zusammen mit Kreisdechanten Msgr. Achim Brennecke besucht. Die ökumenische Notfallseelsorge, die seit Beginn der Katastrophe mit im Einsatz ist, hatte die beiden eingeladen. In einem Interview mit dem Amt für Presse und Kommunikation berichtet Simone Drensler von ihrem Besuch in der Krisenregion.

 

Welchen Eindruck haben Sie von Ihrem Besuch in der Krisenregion mitgenommen?

Simone Drensler: Der Besuch in Blessem erschien mir, als würde ich die Welten wechseln. Durch diese Region fahre ich sehr regelmäßig und ich habe sie kaum wiedererkannt. Natürlich hatte ich die Bilder gesehen, die Berichte gelesen und die Nachrichten gehört, aber dort zu sein und das Ausmaß der Katastrophe mit allen Sinnen wahrzunehmen, ist dann doch etwas ganz anderes. Man sieht die Schuttberge, riecht den Schlamm, Geschäftigkeit fast überall. Viele Türen und Fenster standen offen, man hatte den Eindruck, als laufe man bei den Menschen durch die Wohnzimmer, durch ihr ganz Persönliches, das private Leben findet seltsam öffentlich statt, ist geradezu auf die Straße gespült. Das hat mich berührt, aber irgendwie auch beschämt, denn ich wusste, dass ich mich dieser Situation gerade geplant nur für eine kurze Zeit aussetze und quasi von außen betrachte, während den Menschen dort das alles passiert ist und sie damit leben und umgehen und das alles aushalten müssen. Bei vielen geht es um nichts weniger als ihre Existenzen und um Perspektiven für die Zukunft. Gleichzeitig habe ich die große Hilfsbereitschaft wahrgenommen, die von Privatpersonen, durch die Hilfsorganisationen und besonders auch von den Pfarrerinnen und Pfarrern und den Gemeinden in der Region geleistet wird. Es war berührend zu erleben, wie freundlich der Umgang unter den Menschen war, wie achtsam und fürsorgend, fast freundschaftlich. Da sind Beziehungen gewachsen. So ein Mit- und Füreinander nennen wir Christen Nächstenliebe, ganz praktisch. Das gibt Hoffnung.

 

Was muss aus Ihrer Sicht in der Krisenregion geschehen und was kann die Evangelische Kirche tun?

Simone Drensler: Neben vielen Häusern, ist auch ein großer Teil der technischen und sozialen Infrastruktur zerstört.  Eine lange Zeit des Wiederaufbaus und der Instandsetzung liegt vor den Menschen. Da braucht es einen langen Atem und große finanzielle Anstrengungen. Die Menschen brauchen aber auch die Soforthilfen, weil viele gerade schlicht kein Geld haben, um sich mit dem Notwendigsten zu versorgen. Da ist es wichtig, die Menschen darüber zu informieren, wohin sie sich wenden können, um Soforthilfe schnell und unbürokratisch erhalten zu können. Viele Spenden sind zum Beispiel direkt bei den Kirchengemeinden vor Ort eingegangen, aber auch bei der Diakonie steht Geld zur Verfügung. Das ist das eine. Das andere ist die Begleitung der Menschen in der Region, die als Betroffene zutiefst verunsichert und zum Teil traumatisiert sind. Von jetzt auf gleich ist ihnen der Boden unter den Füßen weggerissen worden, sie stehen vor dem Nichts. Das Vertraute und Gewohnte, das eigene Heim: plötzlich weg. An vielen Orten sind Tote zu beklagen, es werden immer noch Menschen vermisst. Das sind furchtbare Schicksale und eine kaum zu ertragende Ungewissheit. Ein Mann berichtete mir, dass er jetzt wieder bei seiner 93-jährigen Mutter in seinem ehemaligen Kinderzimmer wohnt. Er hat alles verloren und keinen Plan, wie die Lage für ihn weitergehen soll. Der viele Schutt am Straßenrand und die sichtbaren Beschädigungen sind für mich symbolisch für die vielen Seelen, die schweren Schaden genommen haben. Wie groß der seelische Schaden bei Einzelnen ist, wird sich der Erfahrung nach erst mit der Zeit zeigen, denn noch ist die Zeit des Aufräumens und des Schaffens. Wenn die erste Ruhe kommt und das erste Durchatmen, wenn der Körper Frieden findet, dann meldet sich die Seele und für diese wollen wir als Kirche sorgen. Viele KollegInnen tun das auch schon seit Beginn der Katastrophe auf vielfältige Weise. Da gehen viele an ihr Limit und darüber hinaus. In der akuten, ersten Phase der Flutkatastrophe waren darüber hinaus die ökumenischen Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger schnell vor Ort. Sie waren da, haben mitausgehalten, haben zugehört, begleitet, geraten, geholfen. Aus den verschiedenen Regionen haben sie sich auf den Weg in die Krisengebiete gemacht, um in einem Zwei-Schicht-System an der Seite der Menschen zu sein. Sie haben sich mit Leib und Seele in die Situation begeben und sind auch an ihre Grenzen gegangen. Diese Arbeit kann man gar nicht hoch genug einschätzen und ich bin sehr dankbar dafür. Allerdings: Die Akutphase der Katastrophe, zumindest wie sie von den Einsatzkräften definiert wird, endet und das bedeutet in der Konsequenz, dass auch die Arbeit der Notfallseelsorge beendet ist. Die Menschen werden jedoch nicht allein gelassen, sondern weiterhin begleitet und unterstützt. Die Pfarrerinnen und Pfarrer in den Ortsgemeinden bleiben weiterhin verlässlich an der Seite der Menschen. Dabei werden sie nach Bedarf durch Kolleginnen und Kollegen aus den vier Kölner Kirchenkreisen und darüber hinaus unterstützt.

 

Welche Botschaft haben Sie für die Menschen in der Krisenregion?

Simone Drensler: Wir lassen die Menschen in den Krisengebieten nicht allein. Wir bleiben präsent und ansprechbar. Was uns möglich ist, werden wir tun. Und wenn die Hoffnung fehlt, dann haben wir immer welche dabei.

 

 

 

Text: APK
Foto(s): APK

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