„Die Bibel als Sprachereignis“ 75 Jahre Robert-Grosche-Gesprächskreis – Soireé in der Karl-Rahner-Akademie

Es war der 22. Januar 1946, als der damalige Superintendent Hans Encke und der Stadtdechant Robert Grosche fünf katholische und fünf evangelische Pfarrer in Grosches Pfarrhaus, Marzellenstraße 26 neben der Christi-Himmelfahrts-Kirche, begrüßten. Die Zwölf bildeten ab sofort einen Ökumenisch-theologischen Arbeitskreis: den „Apostelkonvent“.

Apostelkonvent

„Er ist damit der älteste ökumenische Gesprächskreis in Köln“, berichtete Dr. Hans-Georg Link, lange Ökumenepfarrer des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region und „Wiederbeleber“ des Grosche-Kreises ab 1991, bei einer Soireé in der Karl-Rahner-Akademie. Der Kreis traf sich anfangs immer  am ersten Montag im Monat von 10 bis 12 Uhr in Grosches Pfarrhaus und las und exegesierte neutestamentliche Schriften im griechischen Urtext. „Da ging man sozusagen zurück zu den Wurzeln“, erklärte Link.

Der „Apostelkonvent“ begann mit der Auslegung von 1. Korinther 1,1-9. Im Anschluss an den 1. Korintherbrief wurden unter anderem die Apostelgeschichte, die Offenbarung des Johannes, der Epheserbrief, der Hebräerbrief, der 1. Petrusbrief sowie das Markus- und das Johannes-Evangelium durchgearbeitet. Link warf in seinem Kurzreferat einen Blick auf Robert Grosche (1888 – 1967).

Robert Grosche

Nach Jahren als Studentenpfarrer übernahm er Anfang der 30er Jahre eine Pfarrstelle in Brühl-Vochem. In jener Zeit begann er, sich mit der dialektischen Theologie des evangelischen Theologen Karl Barth zu beschäftigen. „Die Wort-Gottes-Theologe“ nannte Link diese Theologie.

Grosche nahm am dogmatischen Seminar Barths an der Bonner Universität  teil. Barth wiederum besuchte mit seinen Studierenden das Pfarrhaus in Vochem. Schon damals beschäftigte sich Grosche intensiv mit dem Römerbrief. Aber bereits 1926 hatte er einen Kommentar zum Kolosserbrief veröffentlicht. Den verstand Grosche als Versuch eines Brückenschlags zu anderen Konfessionen, insbesondere zu der evangelischen.

Ökumene während des Zweiten Weltkrieges

Die Ökumene verlor er auch während des Zweiten Weltkrieges nicht aus den Augen. Im Gegenteil. Während der Gebetswoche zur Einheit der Christen im Januar 1945 schrieb er: „Nach der Vesper spreche ich kurz über die psychologischen Voraussetzungen der Wiedervereinigung: Abbau der Missverständnisse, Überwindung des Hochmuts, ehrliche Anerkennung der bei den anderen vorhandenen Werte, Eingeständnis des durch die Kirchenspaltung bei uns selbst eingetretenen Verlustes an natürlicher Substanz.“ Das war prophetisch, denn es geschah dann ab 1946 an jedem ersten Montag des Monats in Grosches Pfarrhaus. 40 Jahre später musste der Kreis dem hohen Alter seiner Mitglieder Tribut zollen. Die Exegese kam zum Erliegen.

Es war der Intervention des katholischen Horremer Pfarrers Dr. Wilfried Paschen zu verdanken, dass der Kreis wiederbelebt wurde. Federführend mit dabei: Dr. Hans-Georg Link. Der setzte umgehend Neuerungen um. Der Zwölferkreis wurde nicht fortgesetzt. Und es wurden Frauen zugelassen. „Das Lesen des griechischen Urtextes war nur noch fakultativ“, sagte Link, der nunmehr 30 Jahre Verantwortung für den Gesprächskreis trägt.

Zukunft der Treffen

Jeden zweiten Mittwoch treffen sich die Teilnehmenden in wechselnden Besetzungen und sprechen über die Bergpredigt, über Maria, Petrus und viele andere Texte und Personen aus der Bibel. Link hat ein Anliegen: „Ich verantworte den Kreis jetzt seit 30 Jahren und möchte dieses Amt jetzt langsam abgeben.“

„Oft zeigt man auf andere. Er zeigt auf uns“, würdigte Stadtdechant Robert Kleine den Gesprächskreis-Gründer. Kleine hat sich noch einmal intensiver mit Grosche beschäftigt, als eine Straße in Vochem nach einem seiner Vorgänger im Amt benannt wurde. „Er wollte einfach eine anständige Theologie treiben mit anderen.“ Grosche habe die Evangelischen geschätzt, denn: „Für die abgesplitterten Teile eines Goldwerks gilt, dass sie auch noch goldhaltig sind.“

Er sei aber auch angeeckt. So habe er sich grundsätzlich gegen die Gründung der Zentrums-Partei als rein katholische Partei ausgesprochen. Und auch die Gründung eines katholischen Gymnasiums habe er für nicht zeitgemäß gehalten. An Link gewandt räumte Kleine ein, dass es immer schwierig sei, Menschen für regelmäßige ehrenamtliche Arbeit zu begeistern. Aber der Stadtdechant zeigte sich zuversichtlich, dass das gelingen könne.

Zimmermanns Verbindung zu Grosche

Den stellvertretenden Stadtsuperintendenten Markus Zimmermann verbindet die Geschichte seiner Familie mit Robert Grosche. Er besitzt sogar ein originales Schriftstück des Pfarrers. Zimmermanns Großvater war während des NS-Regimes Häftling im Konzentrationslager Dachau. „Er hat eins der ersten Bücher über Dachau geschrieben. Er ist 1947 mit 37 Jahren an den Folgen der Lagerhaft gestorben. Robert Grosche hat einen Kondolenzbrief an meine Großmutter geschrieben, der erhalten ist.“ Zimmermann erinnerte daran, dass jeder Mensch ein von Gott geliebtes Wesen sei. „Gott ist Liebe.“ Letztlich gebe es nur eine Kirche, die Kirche Jesu Christi. „Das ist Chance und Voraussetzung.“

Die Bibel als Sprachereignis

„Die Bibel als Sprachereignis“ lautete die Überschrift über dem zweiten Teil des Abends in der Karl-Rahner-Akademie, zu dem auch die Melanchthon-Akademie, der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, das Katholische Bildungswerk und das Katholische Stadtdekanat eingeladen hatten. Die beiden Akademieleiter Dr. Martin Bock und Norbert Bauer moderierten.

Sie hatten als Gäste die Autorin und Lyrikerin Nora Gomringer und den Alttestamentler Professor Dr. Egbert Ballhorn gewinnen können. Gomringer las zum Einstieg einige Gedichte aus ihrem Band „Gottesanbeterin“. Sie verbindet in ihren Texten Religiosität mit Lyrik. „Sprache und Intellektualität gehören zum Glauben dazu“, sagte Ballhorn. „Bibel und Sprache und Dichtung haben miteinander zu tun. Glaube ist auch das Erleben von Sprachlichkeit“, fuhr der Alttestamentler fort.

Die Bibel ist für ihn Sprachereignis. Vor allem die Psalmen genießt er förmlich. Aber er mag auch die Gedichte von Gomringer. „In ihnen entsteht etwas Unabsehbares. Sie tragen Texte vor, die aus Ihrer Feder Ereignis geworden sind. Ihre Gedichte sind saftig. Wie Psalmen.“ Und er mag die Mischung aus biblischer und humorvoller Sprache in den Texten der Lyrikerin: „Wir wissen, dass Gott unendlich weit weg ist. Und trotzdem sprechen Sie ihn auf Augenhöhe an.“ Aber: „Gute Literatur muss uns auch ein bisschen ratlos machen.“

Ängste

Ballhorn kritisierte, dass die Texte in der Kirche den „Hauptamtlichen gehören“. Texte in der Kirche seien zu sehr Gewohnheit geworden. Das Publikum bei einer Dichterlesung sei sehr viel aufmerksamer, weil das Unerwartete geschehen könne. Im Gegensatz zum Gottesdienst. „Es ist das Ziel von Liturgie, die Texte einzuhegen. Man hat Angst, dass das Unerwartete geschieht.“

Das lyrische Element in Psalmen sei „riesig“, so die Lyrikerin. „In Kirchen werden Psalmen anders vorgetragen, weil die Menschen Angst haben, dem Wort zu begegnen, weil das Strenge mit sich bringen kann.“ Es habe  allerdings auch immer etwas Invasives und Bestürmendes, wenn man jemandem was vorlese. Zwar hörten alle den gleichen Text, aber jeder höre Seins, erklärte der Theologe. „Kirche ereignet sich im Gebet und im Hören. Worte sind tragfähiger als Steuern, Steine und Institutionen.“ Ballhorn räumte ein, den Großteil der Bibel noch nicht verstanden zu haben. „Ich habe die Bibel in der Hand und tue so, als ob ich das Buch tragen könnte. Dabei trägt das Buch ja mich.“

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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