„Alles Wissen ist in der Welt, aber nicht in der Schule“: Margret Rasfeld beim Schulpolitischen Aschermittwoch im Haus der Evangelischen Kirche
„Endlich treffen wir uns beim Schulpolitischen Aschermittwoch mal wieder präsentisch“, begrüßte Pfarrer Markus Zimmermann, stellvertretender Stadtsuperintendent, die zahlreichen Lehrerinnen und Lehrer, die der Einladung zu der traditionellen Veranstaltung ins Haus der Evangelischen Kirche gefolgt waren. Und warf sofort einen Blick auf die Situation der Schulen. „Erst heute morgen wurde ein Schulgottesdienst an der Grundschule in Mauenheim abgesagt. Es gab nicht genügend Lehrkräfte, die Aufsicht hätten führen können.“ Und weiter: „Wir wissen, was bei Ihnen an den Schulen los ist.“ Es stelle sich die Frage, ob der Mangel behoben werden könne, wenn mehr Lehrkräfte in Voll- statt in Teilzeit arbeiteten. Auch der Kirche fehle Nachwuchs. In Sachen Schule gelte es, die Bildungseinrichtungen anders zu denken. Und zwar von den Schülerinnen und Schülern her.
Das war die Überleitung zur Begrüßung der Referentin. Margret Rasfeld weist 16 Jahre Lehrtätigkeit an verschiedenen Gymnasien in Nordrhein-Westfalen nach. Von 1992 bis 1997 war sie in Essen als didaktische Leiterin am Aufbau der Gesamtschule Borbeck beteiligt. Von 1997 bis 2007 baute sie die Gesamtschule in Essen-Holsterhausen auf, die für ihre Aktivitäten in der Bildung für nachhaltige Entwicklung ausgezeichnet wurde. Ab 2007 leitete sie bis zu ihrer Pensionierung 2016 die Evangelische Schule Berlin Mitte/Zentrum. Die gilt bundesweit und international als beispielgebend für ihren Ansatz der „transformativen Bildung“. Margret Rasfeld saß mit am Tisch bei dem von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel angestoßenen Zukunftsdialog „Wie wollen wir lernen?“
Bildung für Nachhaltigkeit das zentrale Thema
Die Referentin zeichnete ein schonungsloses Bild der Situation an deutschen Schulen: „Die psycho-soziale Lage ist katastrophal. Wir müssen uns kümmern. Von den Kultusministerien kommt da ja nichts. Die sind ja sowieso nicht als Innovationsministerien bekannt. Da sitzen in erster Linie Juristen.“
Für Rasfeld ist Bildung für Nachhaltigkeit das zentrale Thema für die Schulen der Zukunft. Es gehe darum, den Schülern zu vermitteln, das nachhaltiges Wirtschaften bedeute, dass man die aktuellen Bedürfnisse decke ohne die nächsten Generation daran zu hindern, ihre Bedürfnisse zu decken. Darüber hinaus müsse Empathie weit oben auf dem Lehrplan stehen. „Die Schülerinnen und Schüler müssen Fühlen lernen, Mitgefühl für andere Menschen und die Umwelt entwickeln. Wenn alle leben würden wie wir hier in Deutschland, bräuchten wir drei Erden.“
Sinnkrise, Klimakrise und soziale Krise
Rasfeld hat drei große Krisen in dieser Zeit ausgemacht: Die Sinnkrise, die Klimakrise und die soziale Krise, weil die Schere bei der Vermögensverteilung immer weiter auseinander gehe. 73 Prozent der Schülerinnen und Schüler fühlten sich von den Einschränkungen durch die Pandemie bis heute gestresst. In der Schule müsse es darum gehen, die Kinder und Jugendlichen aufzurichten statt immer nur Prinzipien zu unterrichten. Schule heute setze auf Selektion und Konkurrenz, auf Noten und Prüfungen. „Es bleibt wenig bis keine Zeit für Herzensbildung und Kreativität.“
Rasfeld erteilte dem Vorhaben eine strikte Absage, dass es eine verlorene Generation gebe, die den wegen Corona verpassten Stoff dringend nachholen müsse. Es müsse in der Schule um mehr gehen als bloßes Abarbeiten der Lehrpläne. „Die Schülerinnen und Schüler erleben Fremdbestimmung, Kontrolle und die ständige Angst vor Fehlern.“ Rasfeld sprach von einer Arbeitsblätter-Schule. „Die Kinder und Jugendlichen werden pausenlos überprüft und mit Ziffernnoten bewertet. Wir erleben Neunjährige mit Burnout.“ Dann wandte sich Rasfeld an die Lehrkräfte: „Wir würden das nicht aushalten.“ Die Schülerinnen und Schüler fühlten sich dem System hilflos ausgeliefert. Die Grundbedürfnisse Sinn, Autonomie und Verbundenheit erfülle Schule nicht.
Leben lernen statt bloßes Faktenwissen
Rasfeld forderte vehement einen Paradigmenwechsel für die Schulen. Es gehe um Leben lernen statt um bloßes Faktenwissen. Die Erwachsenen sollten Lernen nicht durch Unterrichten und dem damit verbunden Disziplinieren und Bewerten dominieren. „Sie sollen als Coach oder Prozessbegleitung unterstützen und aktivieren.“ Rasfeld verwies auf ein Projekt in Berlin, das sie initiiert hat. Dabei wurden Jugendlich aus den Klassen 8, 9 und 10 drei Wochen „in die Welt“ geschickt und mussten dabei mit 150 Euro zurecht kommen. Natürlich wurden sie von einer erwachsenen Person begleitet. „Sie wurden aus ihrer Komfortzone geschmissen, mussten um Hilfe bitten. Viele haben nicht gedacht, wie hilfsbereit die Menschen sind.“
Und dann ist da noch Margret Rasfelds aktuelles Herzensprojekt: Der FREI DAY. „Ein Zukunftstag pro Woche für Zukunftsfragen. Für das Erwerben von Wissen, Handeln und Netzwerken. Global denken – lokal handeln. Vier Stunden pro Woche könnten Leidenschaftsgruppen gebildet werden.“ Wichtig sei, dass die Jugendlichen in der Pubertät „raus kommen und erleben, dass sie zählen und wichtig sind. Etwa beim Vorlesen in Brennpunktschulen oder beim Computerkurs für ältere Menschen. Es gibt Studien, dass der Lernzuwachs in Mathematik in der neunten Klasse sowieso gegen Null geht.“
Es gebe ein großes Umsetzungsdefizit. Denn: „Alles Wissen ist in der Welt, aber nicht in der Schule.“
Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann
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