„Wir müssen dialogfähig bleiben“

Vierteilige Veranstaltungsreihe Braunkohle, Energiewende und Zukunft der Menschen im Rhein-Erft-Kreis

„Kirche diskutiert anders“ lautete eine vierteilige Veranstaltungsreihe zu den Themen Braunkohle, Energiewende und Zukunft der Menschen im Rhein-Erft-Kreis. Und es war „anders“. Alle auf den Podien blieben sachlich trotz in Teilen kontroverser Ansichten. Alle ließen ihre gegenüber ausreden. Markus Zimmermann, Superintendent im Kirchenkreis Köln-Nord, fasste zusammen, was als Leitwort für eine Zusammenfassung aller Veranstaltung gelten könnte: „Wir müssen dialogfähig bleiben und die Schritte weiter gehen, nachdem wir uns unsere Geschichten erzählt haben. Dafür wird die Kirche ihren Beitrag leisten.“ Das hat sie in der Tat.

Zimmermann war Gast bei der ersten Podiumsdiskussion im Gemeindehaus der evangelischen Friedenskirche in Bedburg. Das Thema lautete „Was macht ziviler Ungehorsam mit der Region?“. Unter der Leitung von Sammy Wintersohl, Pressesprecher des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region sowie Moderator der vier Abende, diskutierten auch Dirk Weinspach, Polizeipräsident in Aachen, Christian Mertens, Rechtsanwalt aus Köln, und Klaus Emmerich, Betriebsrat bei RWE. Thema waren auch die Auseinandersetzungen um den Hambacher Forst. „Wir haben es hier mit einem gravierenden gesellschaftlichen und politischen Konflikt zu tun. Die Polizei hat nicht den Anspruch, diesen Konflikt zu lösen. Sie kann es auch nicht“, erklärte Weinspach zu Beginn. Den Konflikt müsse die Politik lösen.

Superintendent Zimmermann erteilte dem zivilen Ungehorsam nicht von vornherein eine Absage. „Er kann unter bestimmten Umständen legitim und aus christlicher Überzeugung angebracht sein. Ich erinnere an die Bürgerrechtsbewegung in den USA und die Bürgerproteste vor dem Ende der damaligen DDR. Aber ziviler Ungehorsam ist an Regeln gebunden.“ Auf jeden Fall müsse er gewaltfrei sein. Zimmermann hat beobachtet, dass der Konflikt um die Braunkohle innerhalb von Gemeinden zu Konflikten mit gegenseitiger Sprachlosigkeit geführt hat. „Das darf nicht sein. Wir müssen immer sprachfähig bleiben.“ Kirchen seien im Übrigen nicht die Experten für Energiewirtschaft. Ihr Auftrag sei die Bewahrung der Schöpfung. Und es sei ihr Auftrag, zur Gewaltlosigkeit aufzurufen: „Vielleicht deutlicher, als wir das bis jetzt getan haben“, so der Superintendent von Köln-Nord.
Betriebsrat Emmerich versuchte sich an einer Annäherung der Positionen. „Ich glaube, dass wir an vielen Punkten gar nicht so weit auseinander liegen“, sagte er mit Blick auf die zahlreichen „Hambi-Aktivisten“ im Gemeindesaal. „Wir möchten“, so der Betriebsrat, „dass der Kohle-Kompromiss in Gesetze gegossen und verlässlich umgesetzt wird. Kein Mitarbeiter soll ins Bergfreie fallen“, forderte er die soziale Absicherung seiner Kolleginnen und Kollegen. Superintendent Zimmermann fasste zusammen: „Ich bin Pfarrer. Und allein deshalb immer zuversichtlich.“

2040 wird ein trauriger Rückblick
Das Gemeindehaus in Kerpen war auch gut besucht und die zweistündige Diskussion am zweiten Diskussionsabend fesselte sichtbar Zuhörer und Redner. Die Podiumsteilnehmer schilderten zum Einstieg ihre persönlichen Visionen des Jahres 2040 ohne Braunkohletagebau im Rhein-Erft-Kreis: Spannend, zuweilen auch traurig, bewegend und gleichwohl komplex. Mit den Veränderungen sind Konflikte auf vielen Ebenen in der gesamten Region verbunden. Der Tagebau prägt die Geschichte und Landschaft der Region gleichermaßen. Er hat Spuren hinterlassen, auch bei den Menschen, die hier wohnen und die hier eine Zukunft haben wollen.

Martin Sagel, Mitglied der evangelischen Kirchengemeinde Kerpen, schilderte authentisch die Trauer um den Ort Manheim, in dem er aufgewachsen ist. Bedingt durch den Tagebau werden ihn seine Kinder im Jahr 2040 nicht mehr sehen können. „2040, das wird für mich ein trauriger Rückblick“, beschrieb er seine Situation. Die Fehler der letzten Jahrzehnte seien aber nicht hier, lokal, gemacht worden.

Frank Drensler, Pfarrer in Kerpen, griff die emotional schwierige Situation der Anwohner auf und beschrieb die durchaus auch kirchliche Aufgabe, Trauerprozesse zu begleiten. „Wir wollen verschiedene gesellschaftliche Akteure zusammen bringen und weg von der Polarisierung – wir wollen den Blick nach vorne wenden und im Prozess Verantwortung übernehmen“, formulierte er eine von vielen Rollen, die Kirche hier übernehme. „Als Kirche stellen wir Räume zur Verfügung und ich fordere Sie alle auf, am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen und sich gegen jede Polarisierung zu wenden“, forderte er gegen Ende des Abends.

Es ist schwer es einfach zu machen
Das Einfache ist oft das Schwere. Und noch schwerer ist es oft, es einfach zu machen. Das wurde klar bei der dritten Podiumsdiskussion im Sindorfer Gemeindezentrum. „Was können die Menschen in unserer Region zur Energiewende beitragen?“ lautete das Thema im dritten Teil der Reihe. Gäste auf dem Podium waren Jutta Schnütgen-Weber, die 1980 in Bonn die Grünen mitgegründet hat, lange für die Partei politische Mandate wahrgenommen hat und jetzt den Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vertritt, Volker Rotthauwe vom Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen, Martin Klöti von der Organisation „Neustart“ aus der Schweiz und vertraut mit dem Thema Nachhaltigkeit, sowie Dr. Bernhard Seiger, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd.

Volker Rotthauwe stieg direkt mit einer starken These zum Thema ein: „Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass wir unseren Lebensstil durch noch mehr Wissen verändern werden.” er fragte weiter, wie die Menschen dahin kommen dass aus diesem Wissen zunächst einmal Wollen und danach Handeln wird. „Wie kommen wir zu einer Ethik des Genug?”, fragte er weiter. Dr. Bernhard Seiger zitierte aus dem Ersten Buch Mose: „Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.“ „Uns ist die Welt aufgegeben zum Bewahren“, fuhr der Superintendent fort. „Das sollten wir zur Grundlage machen für alles, was wir tun.“ Seiger verwies auch auf den großen Respekt vor der Schöpfung, der zum Beispiel in den Liedern aus dem Gesangbuch zum Ausdruck komme.

Viele Wortmeldungen an diesem Abend drehten sich um die Situation der Landwirtschaft vor Ort. „Wir wollen, dass lokale Bauern am Leben bleiben.“ Ein Landwirt aus Kerpen erklärte, dass aus seiner Sicht das Volk immer schon ruhig gestellt worden sei mit „Brot und Spielen“. „Und wenn ich heute die Lebensmittelpreise und das Fernsehprogramm sehe, ist das immer noch so.“

Ein Mann aus dem Publikum monierte die Plastikflasche auf dem Podium. Dr. Seiger nannte die Kritik „völlig gerechtfertigt“. In den Gemeinden müsse man reflektieren, was zur Gewohnheit geworden sei
und wo man Gewohnheiten ändern könne. „Muss es in den Gemeindehäusern im Winter wirklich 23 Grad warm sein?“

Klöti brachte das Vaterunser ins Spiel. „Wir haben es geschehen lassen, dass wir uns versündigt haben. Führe uns nicht – weiter – in Versuchung. Sondern erlöse uns von dem Bösen. Und vergib uns unsere Schuld. Das führt zu Amnestie. Und danach zu einem Neuanfang.“ Schnütgen-Weber empfahl jedem, sich in der Politik zu engagieren. „Wir brauchen mehr Bürgerbeteiligung. Jetzt ist ein Zeitfenster offen, um Haltungen in der Gesellschaft zu verändern.“

Von lieb gewordenen Gewohnheiten verabschieden
„Umkehr“ hieß das Zauberwort des vierten Abends und war zugleich die zentrale Antwort auf die Frage der Veranstaltung: „Wie erreichen wir die Klimaziele?“ Diesem Thema stellten sich auf dem Podium im Elsdorfer Lutherzentrum Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Michael Kreuzberg, Landrat des Rhein-Erft-Kreises, Michael Eyll-Vetter, Leiter der Tagebauentwicklung bei RWE Power, Almuth Koch-Torjuul, Pfarrerin in Kerpen und Frechen, sowie Gebhard Müller, Pfarrer in Bedburg.

Koch-Torjuul nannte den Begriff „Umkehr“ zutiefst christlich. „Wir müssen uns alle von lieben Gewohnheiten verabschieden“, appellierte sie an die Verantwortung eines jeden einzelnen. Jeder Weg mit dem Auto – und das so schnell wie möglich, sei genauso wenig zukünftig angesagt, wie alles an die Haustüre liefern zu lassen. Man habe sich lange in dem Segen, der RWE für die Region bedeutete, bequem „eingenistet“.

Klimaschutz sei eine Bewegung der Umkehr. Die Gesellschaft müsse vor allem materiell bescheidener werden und anspruchsvoller im Miteinander. Bei unterschiedlichen Ansichten müsse man immer auch das Körnchen Wahrheit in der Argumentation des Gegenübers erkennen. „Mich haben die Friday for Future-Demonstrationen jedenfalls sehr nachdenklich gemacht“, schloss Koch-Torjuul. „Eine Umkehr, die aber kein Rückschritt ist“, forderte Pfarrer Müller. Er hat beobachtet, dass sich Kirchengemeinden spalten wegen Meinungsverschiedenheiten über die Braunkohleförderung. „Wir als Kirchen müssen die Menschen an einen Tisch bringen und sie gesprächsfähig machen und halten.“

Präses Rekowski erinnerte daran, dass die Bewahrung der Schöpfung Pflicht eines jeden Christenmenschen sei. Aber genauso wichtig sei die Gerechtigkeit im Strukturwandel. „Wir brauchen eine gerechte Lösung für alle Beteiligten. Wir können nicht sagen ‚Seht zu, wo Ihr bleibt‘. Der gesellschaftliche Frieden ist ein hohes Gut.“ Wichtig seien auch Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Ein Mann aus dem Publikum hielt ein energisches Plädoyer: „Wir leben in einem geschlossenen System. Wenn wir das versauen, haben wir es für immer versaut. Was für Unsummen sollen unsere Nachkommen bezahlen, um das zu reparieren, was wir kaputt gemacht haben. Es geht nicht mehr in erster Linie um Arbeitsplätze. Es geht um eine lebenswerte Welt. Und die Politik traut sich nicht, den Leuten zu sagen, dass wir ab sofort auf vieles verzichten müssen.“ Das sah der Präses genauso: „Wir als Kirche plädieren für eine Kultur des Genug.“

[Text & Foto: S.Rahmann]