Telefonseelsorge Köln: Ehrenamtler dringend gesucht
„Ich will so nicht mehr leben. Es hat keinen Zweck mehr. Wenn ich morgen nicht aufwachen würde, wäre endlich alles vorbei.“ Solche Gedanken können Menschen in den Sinn kommen, wenn sie sich in einer ausweglosen, quälenden Lage sehen. Nichts scheint sich ändern zu lassen. Dorit Felsch, Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge Köln, spricht von einem „Tunnelblick“. Damit sich der Blick wieder „weiten“ könne, helfe oft das Gespräch mit jemandem, mit dem sich ausführlich über das Problem „in seiner ganzen Schwere“ reden lasse.
In diesem Sinne wurde 1956 in Berlin die „Ärztliche Lebensmüdenbetreuung“ gegründet, aus der die Telefonseelsorge in Deutschland hervorging. Anlässlich des Welt-Suizid-Präventionstags (10. September) zogen Pfarrerin Dorit Felsch und Annelie Bracke, Leiterin der Katholischen Telefonseelsorge Köln, für dieses Jahr eine Zwischenbilanz der Arbeit beider Stellen, die eng kooperieren, und wiesen darauf hin, dass dringend neue ehrenamtliche Kräfte gesucht werden.
Telefonseelsorge wichtig als Teil der Suizidprävention
Im ersten Halbjahr seien insgesamt 13 000 Anrufe eingegangen, das heißt, so wie im Vorjahr etwa 70 pro Tag, teilten die Leiterinnen mit. In zehn Prozent der Gespräche sei das Thema Suizidalität zur Sprache gekommen. Allerdings seien es „absolute Einzelfälle“, wenn jemand gleichsam „schon auf der Brücke steht“, betonte Dorit Felsch. Meistens gehe es darum, dass Belastungen der Anrufer und Anruferinnen Suizidgedanken ausgelöst hätten. „In dieser Phase ist Telefonseelsorge wichtig als Teil der Suizidprävention.“
Es liege eine lange Zeitspanne zwischen den ersten Gedanken und dem „akuten Entschluss“ – eine Spanne, in der sich helfend eingreifen lasse. Zwar könnten verhinderte Suizide nicht statistisch erfasst werden, doch Rückmeldungen zeigten, dass die Gespräche am Telefon großen Nutzen hätten. Als Beispiel erwähnte Felsch eine Frau, die sich im Namen ihrer – inzwischen an einer Krankheit gestorbenen – Schwester gemeldet habe, um dafür zu danken, dass die jahrelange Begleitung durch die Telefonseelsorge diese vom Suizid abgehalten habe.
Ängste beherrschendes Thema der Gespräche
Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs wurden Ängste zum beherrschenden Thema der Gespräche. „Ängste, die das eigene Leben betreffen, spielen weiterhin eine große Rolle, aber sie werden aktuell kaum noch im Zusammenhang mit dem Krieg benannt“, sagte Bracke. Deutlich zugenommen hätten auch Stress und emotionale Erschöpfung. Unter dem Einfluss der Corona-Pandemie dominierten im vorigen Jahr die Themen Einsamkeit und depressive Stimmungen; sie sind immer noch häufig Thema der Gespräche. Alles in allem sei zu beobachten, dass „die innere Anspannung steigt“, so Annelie Bracke. Felsch sprach davon, dass bei vielen Menschen „die Reserven aufgebraucht“ seien. Dies sei möglicherweise ein Grund, warum die Resonanz auf Aufrufe zur ehrenamtlichen Mitarbeit in diesem Jahr geringer als sonst ist. „Aber das ist Spekulation.“
Bei der katholischen Stelle nehmen 70 ehrenamtlichen Kräfte die Anrufe entgegen, bei der evangelischen sind es 20 mehr. Diese konnte 2021 zwei Ausbildungskurse parallel stattfinden lassen, weil sich besonders viele Interessenten gemeldet hatten. Seit einigen Monaten verfügt sie über zwei Leitungen, sodass die Dienste teilweise doppelt besetzt werden können. Damit wird die Erreichbarkeit gesteigert. Aus gutem Grund: Das telefonische Seelsorge-Angebot rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr ist so gefragt, dass die Anrufer und Anruferinnen damit rechnen müssen, erst nach mehreren Versuchen durchzukommen.
„Es ist ein großartiges Feld von Kirche“
Dorit Felsch leitet die Evangelische Telefonseelsorge seit fünfeinhalb Jahren. „Es ist ein großartiges Feld von Kirche“, sagt sie. Die Vielfalt von Menschen und Themen sei „riesig“. Im Umgang mit den ehrenamtlichen Kräften verstehe sie sich als „Seelsorgerin der Seelsorger“. Zwar seien die Telefonseelsorge-Stellen kirchliche Einrichtungen, doch mit ihrer psychosozialen Versorgung erfüllten sie eine „grundlegende gesamtgesellschaftliche Aufgabe“.
Der nächste Ausbildungskurs der Evangelischen Telefonseelsorge Köln beginnt im Januar 2023. Es werden Männer und Frauen gesucht, die sich für andere Menschen interessieren und sich auf sie einstellen können. Sie sollten belastbar sein, ihre eigenen Grenzen kennen und in der Lage sein, mit Krisen umzugehen. Etwa ein Jahr lang werden sie ausgebildet und während ihrer folgenden Tätigkeit weiter begleitet und qualifiziert. Neben der fachlichen Weiterbildung spielen auch spirituelle Angebote und die Gemeinschaft der Mitarbeitenden eine wichtige Rolle. Der monatliche Einsatz beträgt etwa 15 Stunden; dazu gehören regelmäßige Nachtdienste.
Evangelische Telefonseelsorge Köln, Postfach 25 01 04, 50517 Köln, Tel. 0221/31 71 59, telefonseelsorge.kirche-koeln@ekir.de, www.telefonseelsorge.koeln
Text: Clemens Schminke
Foto(s): Clemens Schminke
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