„Schule als Ort, Demokratie zu verstehen und zu schützen“ – Aktuelles Thema beim Schulpolitischen Aschermittwoch im Haus der Evangelischen Kirche

Extremisten aller Richtungen sind derzeit auf dem Vormarsch. Ihr Ziel ist, die Demokratie zu destabilisieren. Dieses hochaktuelle Thema stand im Mittelpunkt beim traditionellen „Schulpolitischen Aschermittwoch“ im Haus der Evangelischen Kirche: „Schule als Ort, Demokratie zu verstehen und zu schützen.“ Gastredner war Burkhard Freier, seit 2012 Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen. Stadtsuperintendent Dr. Bernhard Seiger begrüßte Freier und die zahlreichen Leiterinnen und Leiter aus allen Schulformen. „Wir sind hier in politisch bewegten Wochen. Nach Rosenmontagszügen mit ungewöhnlich starken politischen Inhalten auch in Köln, nach dem Chaos und den Verirrungen im Thüringer Landtag, in Zeiten der Orientierungssuche der etablierten politischen Parteien, in Zeit der Verrohung der Sprache, von zunehmendem Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus, in Zeit aufrechter Demonstrationen für unsere Demokratie, aber eben auch nach dem fremdenfeindlichen Anschlag von Hanau.“

Seiger erinnerte an die „Barmer Theologische Erklärung“ von 1934, die damals eine Argumentationshilfe für die von den Nationalsozialisten bedrohten Gemeinden sein sollte. Der Stadtsuperintendent zitierte aus der 5. These, die sich mit den Aufgaben des Staates befasst: „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“ Für Recht und Frieden nach innen und außen zu sorgen sei auch heute noch nach evangelischer Auffassung zentrale Aufgabe des Staates. „Deshalb sind menschenverachtende, rassistische und demokratiefeindliche Einstellungen mit dem christlichen Glauben unvereinbar, denn sie zerstören den inneren Frieden in einer Gesellschaft“, fuhr Seiger fort und erklärte, dass menschenverachtende und demokratiefeindliche Einstellungen immer wieder in der Öffentlichkeit geäußert werden. Und sie würden auch parteipolitisch begünstigt. „Der Konsens über Recht und Frieden in unserer Gesellschaft ist gefährdet.“

Burkhard Freier lud die Anwesenden ein zu einem „Parforceritt“ durch die Extremistenszene in NRW. Er warnte zunächst aber vor Hysterie. „Wir leben in einem der sichersten Länder der Erde. Unsere Demokratie ist gefestigt. Aber der Hass und die Verrohung der Sprache nehmen zu.“ Freier unterschied drei extremistische Strömungen: Links- und Rechtsextremismus sowie den Salafismus. Ihnen gemeinsam sei die „zunehmende Qualität der Gewalt“. Dabei diene das Internet als Katalysator. Im Internet würden viele Kinder und Jugendliche erreicht. „Verbote von Plattformen bringen nichts. Von denen gibt es 360. Und dann haben wir von Facebook und Twitter noch gar nicht gesprochen,“ sagte er weiter.

Der Verfassungsschützer hat beobachtet, dass die Gesellschaft sich zusehends spaltet und „Dinge akzeptiert, die wir vor zehn Jahren für unmöglich gehalten hätten“. Zwischen den Extremistengruppen gebe es Wechselwirkungen. „Die Linken beobachten sehr genau, was die Rechten tun und setzen dann noch einen drauf.“ Ebenso sei es mit den Rechten und den Salafisten. So entstehe ein Kreislauf. Viele „Extremisten-Karrieren“ begännen bereits im Kindergarten. Die Polizei sei zuständig, wenn sich eine Straftat konkretisiere. Der Verfassungsschutz begleite Extremisten vom Anfang bis zur Haftentlassung und darüber hinaus, etwa mit Aussteigerprogrammen. „Wir haben Augen und Ohren, aber keine Arme. Die Polizei hat weniger Augen und Ohren, darf aber alles anfassen“, fasste Freier die Unterschiede der Behörden in einem eingängigen Bild zusammen. Der Verfassungsschutz befasse sich nicht mit Radikalen, sondern mit Extremisten und Terroristen. „Extremisten fordern die Abschaffung unserer Grundwerte, Terroristen versuchen, die Forderung in die Tat umzusetzen.“

Die Herausforderung durch islamistische Extremisten nehme zu, führte Freier weiter aus. „Wir gehen in NRW von 3.200 Salafisten aus. Pro Jahr werden es 100 mehr.“ Man gehe im Moment von über 100 islamistischen Familienverbünden aus, „die weit weg leben von unserer Gesellschaft“. Die Linksextremisten zeigten ebenfalls eine große Gewaltbereitschaft, wie man im Hambacher Forst gesehen habe. Sie versuchten, so der Verfassungsschutz-Leiter, Räume zu schaffen, auf die die Polizei keinen Zugriff habe. Die Linksextremen hätten versucht, die „Friday for Future“-Demonstrationen für ihre Zwecke zu nutzen und sie zu unterwandern etwa mit dem Angebot, die Organisation der Demos zu übernehmen.

Zu den Extremisten auf der rechten Seite erklärte Freier: „Wer heute AfD wählt, muss wissen, was er tut.“ Der Rechtsextremismus käme immer „hipper“ daher. Die Themen, die Sprache und auch die Musik würden immer moderner. Jugendliche würden in Umfragen Angst vor Terror äußern, Angst vor Parallelgesellschaften, vor dem Verlust der Identität. Diese Themen würden die Rechten aufgreifen, so Freier. Dazu kämen dann noch die Verschwörungstheoretiker der „Identitären Bewegung“, die behaupteten, die politische Elite verfolge mit der Aufnahme von Geflüchteten den „Austausch der Bevölkerung“. „Die, die das vertreten, sind keine Glatzen, Hooligans oder Rocker. Das sind im Zweifel junge freundliche Menschen.“

Burkhard Freier beim Vortrag

Zu dem Attentat von Hanau sagte Freier: „Nicht jeder, der Ballerspiele spielt, wird zum Attentäter. Und nicht jeder Attentäter hat Ballerspiele gespielt.“ Aber es gebe ein Muster. In einem dieser Ego-Shooter-Spiele schaffe man sich einen Avatar und bekomme für das Töten Punkte. Das könne man auf Attentate übertragen. Der Mörder von Christchurch habe nach dieser perversen Zählung 53 Punkte erreicht. „Es gibt potenzielle Täter, die diese Punktezahl überbieten wollen“, sagte Freier. Angefangen habe alle mit Anders Breivik, der 2011 bei einem Anschlag 77 Menschen getötet hat. „Der hat dieses Spiel ein Jahr lang gespielt, nur um zu lernen, wie man Menschen tötet.“

Die Identitäre Bewegung glaubt aus Sicht der Behörde, dass das deutsche Volk verdrängt werde. Deshalb griffen die Mitglieder Synagogen, Moscheen, Politiker und Ausländer an, um aktuell einen Bürgerkrieg zu provozieren, wie beispielsweise in Halle. „Denn jetzt sind wir noch die Mehrheit, denken die“, beschrieb Freier die Strategie dieser Bewegung. Dies hätten auch die zwölf kürzlich als Terrorverdächtige Festgenommenen verfolgt. „Wo Ängste sind, aber keine Sicherheit, entsteht dieses Milieu“, hat der Verfassungsschutz festgestellt. Aber 80 Prozent aller Radikalisierungswege seien erkennbar. Freier erklärte die drei großen A: „Abschottung, Abwertung, Antidemokratische Einstellung“. Für Islamisten bedeutet dies eine die Abwertung der Ungläubigen, für Rechtsextreme die Abwertung von Ausländern und für die Linksextremen die Abwertung der staatlichen Institutionen mit ihren handelnden Personen.

Die Anfragen von Schulen an den Verfassungsschutz hätten sich deutlich erhöht. Gründe könnten sein, dass es an Schulen mehr Extremismus gebe und die Lehrer sensibler geworden seien. Jeden Tag sei ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in einer Schule, um aufzuklären. „Es gibt beispielsweise Theaterstücke und Buchlesungen. Jetzt denken Sie sicher, dass Jugendliche da eher nicht zuhören“, wandte sich Freier an seine Pädagogen-Zuhörerschaft: „Weit gefehlt. Wenn da eine Geschichte über einen Mann gelesen wird, der in Syrien umgebracht wurde, weil er schwul ist, sind alle sofort mucksmäuschenstill.“ Ein weiteres Angebot für Schülerinnen und Schüler ist ein virtueller Escape-Room, in dem sie auf Symbole aus dem rechtsextremen Bereich träfen. Das sorge regelmäßig für Irritation und Nachdenken. „Es müsste an jeder Schule jemanden geben, der sich nur um Extremismus kümmert“, forderte der Verfassungsschützer. „Unsere Demokratie der Zukunft lebt von den Jugendlichen. Wenn man das Thema wirklich ernst nehmen will, muss man schon in den Kindergärten ansetzen. Die Arbeit an den Schulen ist der Schlüssel zum Erfolg.“ Aus dem Publikum kam Kritik. „Für eine Stelle, die sich um Extremismus kümmert, wird es schlicht kein Geld geben“, sagte eine Schulleiterin. „Aber trotzdem müssen wir es versuchen“, entgegnete Freier.

Der Verfassungsschutz bietet auch Fortbildungsprogramme für Lehrerinnen und Lehrer an. An erster Stelle nannte Freier das VIR-Programm: „VeränderungsImpulse setzen bei Rechtsorientierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen“. Mit Hilfe des VIR-Trainings könnten Lehrerinnen und Lehrer Impulse bei Zielgruppen setzen, die der Verhaltensänderung skeptisch gegenüberstehen und bei denen intensive Beratungsprozesse zunächst aussichtslos scheinen. „Das kann in einem Tür- und Angel-Gespräch nach einer Unterrichtsstunde sein. Das Gespräch dauert vielleicht nur drei Minuten. Aber die müssen sitzen“, fasste Freier zusammen.

In Bezug auf die Schule forderte der Behördenleiter vor allem strategische Partnerschaften in den Kommunen. „Die Schule allein ist mit extremistischen Vorfällen überfordert. Es braucht ein Netzwerk aus Polizei, Schulen, Jugendämtern, Vereinen und Hilfsorganisationen.“ Und wenn ein Jugendlicher in der Schule in Verdacht geriete, sich zu radikalisieren, solle man den Verfassungsschutz informieren. Auf die Frage aus dem Publikum, ob es nicht hilfreich sei, bestimmte Ballerspiele zu verbieten, hatte der Verfassungsschützer eine einfache Antwort: „Die können sie zwar verbieten. Aber deshalb sind sie nicht verschwunden. Es gibt sie dann auf dem Schwarzmarkt oder im Darknet.“ So sind eher Medienkompetenz und eine Sensibilisierung für das Verständnis der Demokratie gefragt, die in der Schulzeit den Heranwachsenden mit auf den Weg gegeben werden können.

Der Schulpolitische Aschermittwoch im Haus der Evangelischen Kirche in Köln wurde auch in diesem Jahr vom Schulreferat und vom Pfarramt für Berufskollegs veranstaltet.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann/APK

Der Beitrag „Schule als Ort, Demokratie zu verstehen und zu schützen“ – Aktuelles Thema beim Schulpolitischen Aschermittwoch im Haus der Evangelischen Kirche erschien zuerst auf Evangelischer Kirchenverband Köln und Region.