Ökumenisches Gespräch mit Dr. Georg Kalinna: Die Zukunft der Kirche
Nach aktuellen Statistiken gehören 49 Prozent der christlichen Bevölkerung einer der beiden großen Kirchen in Deutschland an. Diese stehen gegenwärtig und zukünftig vor großen Herausforderungen angesichts der Zahl an auf unterschiedlichen Gründen basierenden Kirchenaustritten. Im Rahmen eines ökumenischen Gesprächs in der Petruskirche in Köln-Merheim hat Pfarrer Dr. Georg Kalinna diese Thematik aufgegriffen und mit interessierten Besuchern die Zukunft der Kirche erörtert.
Nach der Begrüßung durch Jane Dunker, Kulturreferentin der Kirchengemeinde Brück-Merheim, stellte der 34-jährige Kalinna zunächst seine Generation mit der eher älteren Generation der Anwesenden gegenüber. „Ich würde vermuten, dass Sie heute hier sind, weil Sie etwas mit Kirche anfangen können und mehr oder weniger aktiv dabei sind. Viele meiner ehemaligen Klassenkameraden haben jedoch keinen Bezug mehr zur Kirche oder sind bereits ausgetreten.“ Der persönliche Referent des Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland mutmaßte, dass sich jede Person generell fragen müsse, ob Glaube und Kirche in ihrer Lebenswelt einen Platz hätten und für sie relevant sei, und lud die Teilnehmer zum aktiven Mitmachen in den folgenden 90 Minuten ein. „Ich habe übrigens kein Patentrezept zur Rettung der Kirche“, machte er den Besuchern angesichts möglicher übermäßigen Erwartungen vorneweg klar.
Neue Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten
„Muss sich die Kirche verändern und wenn ja, wo?“, fragte der Pfarrer, seit März 2021 in der Gemeinde Brück-Merheim tätig, danach in die Runde und erntete vielfache Antworten. „Ich finde Kirche sehr steif, und da sind viele ältere Menschen. Das wirkt insbesondere auf Jüngere nicht attraktiv“, argumentierte eine Besucherin, die zudem von Kirchenaustritten in ihrem Umfeld berichtete. „Ich höre dann, dass Kirche nichts bringt und nur Geld kostet. Die Kirche sollte sich daher nach meiner Meinung Gedanken über neue Ideen und Gestaltungsmöglichkeiten machen.“
Ihre Sitznachbarin wünschte sich indes eine exaktere Differenzierung zwischen den Kirchen. „Gerade die katholische Kirche sollte mehr Demokratie und Partizipation wagen. Hier müssen neue Strukturen und ein frischer Wind rein.“ Die Diskrepanz zwischen den Werten, für die diese Kirche einsteht, und insbesondere den gegenwärtigen Skandalen, die zu drastischen Vertrauensverlusten führen, sei momentan zu groß, worunter letztlich auch das Ansehen der evangelischen Kirche leide.
Kein besonderer Anlass, die Kirche zu verlassen
Angelehnt an eine bekannte Quizshow motivierte Pfarrer Kalinna die Beteiligten mit einer spielerischen Einheit zur Ermittlung aktueller Zahlen, Daten und Fakten anhand vorgefertigter Fragestellungen. „Was ist der häufigste Grund für einen Kirchenaustritt?“, wollte er etwa wissen und erstaunte manchen mit der korrekten Antwort. „Häufig gibt es überhaupt keinen besonderen Anlass, die Kirche zu verlassen. Die Skandale sind hierbei nur ein Oberflächen-Phänomen. Viele dieser Leute hatten sich bereits vorher innerlich von der Kirche abgewendet und nehmen die Vorkommnisse letztlich als Anlass, den Schritt endgültig zu vollziehen.“ Nützlich könne eine Kontaktaufnahme zu den Ausgeschiedenen sein. „Man könnte ihnen wenigstens einen Brief schreiben. Oft hören wir von Leuten, dass für sie das Schlimmste war, dass sich die Kirche noch nicht einmal nach dem Austritt für sie interessiert hat. Daran müssen wir dringend arbeiten“, betonte Dr. Georg Kalinna.
„Kirche gehört daher einfach zu meinem Leben“
Doch natürlich ist nicht alles schlecht an der Kirche, und daher strebte der Präses-Referent anschließend einen Perspektivwechsel an. Mit der Frage, warum Menschen der Kirche zugehören, wandte sich Kalinna zunächst an die Besucher. „Die Eltern haben mich da reingebracht. Kirche gehört daher einfach zu meinem Leben“, anerkannte ein Teilnehmer in der Kirche traditionelle Werte. Auch die rituelle Begleitung, etwa bei Taufen, Hochzeiten oder Beerdigungen, wie auch die gemeinsamen Feiern wiederkehrender Feste (Ostern, Weihnachten) und die Musik wurden als Verweilgründe genannt.
Die statistischen Ergebnisse einer Befragung verraten ein ähnliches Bild, so der Pfarrer. „Der Wunsch nach einer kirchlichen Bestattung steht dabei an oberster Stelle. Die kirchliche Angehörigkeit der Eltern, der karitative Gedanke, dass sich Kirche für Arme, Kranke und Bedürftige einsetzt, sowie die Sehnsucht nach einer kirchlichen Trauung folgen auf den nächsten Plätzen. Erst dann wird der Aussage ´Weil mir der christliche Glaube etwas bedeutet´ zugestimmt.“ Trotz der dargelegten Kritik an der Institution Kirche stelle zudem der Gottesdienstbesuch für viele Gläubige immer noch der krönende Wochenabschluss dar. Die angenehme Atmosphäre, eine interessante Predigt oder die Wertschätzung der Pfarrperson erhielten demnach die meisten Nennungen.
„Kirche bedeutet Vielfalt“
Schließlich brachte Dr. Georg Kalinna die Anwesenden mit einer spielerischen Übung in Bewegung, die zum Nachdenken über andere gedankliche Perspektiven anregen sollte. Hierfür verteilte er im Altarbereich mehrere Zettel mit Nennung verschiedener Örtlichkeiten. „Entscheiden Sie bitte zunächst, wo Sie gerne am liebsten Ihre freie Zeit verbringen würden, danach bitte, welchen Ort Sie hingegen höchst unattraktiv finden.“
Wie die Besucher müsse sich auch die Kirche zu Leuten an Orte hinbewegen, die sie vielleicht weniger reize, schlussfolgerte er abschließend. „Es muss daher Aufgabe der Kirche sein, offener für Neues und für andere Personen mit ihren Interessen zu werden.“ Die Kirche könne natürlich nicht für alle Zielgruppen erreichbar sein, resümierte der Pfarrer. „Kirche bedeutet jedoch Vielfalt, und sie muss auch in Zukunft lebendig bleiben, auch wenn ihre Gemeinde an Quantität einbüßt.“
Text: Holger Hoeck
Foto(s): Holger Hoeck
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