Nachrichten von der Herbstsynode 2018 des Kirchenkreises Köln-Süd: „Pilgernde Kirche“ als Chance für die Zukunft

Vom Mitgliederschwund solle man sich nicht täuschen lassen, ermutigte Dr. Bernhard Seiger die Synodalen des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd, die evangelische Konfession sei alles andere als ein Auslaufmodell: „Es gibt mehr Zugehörigkeit zur reformatorischen Sache als Kirchenmitglieder und mehr inhaltliche, geistliche Zugehörigkeit zu unseren Traditionsbeständen als formale Unterstützung“, sagte der Superintendent des Kirchenkreises. Gotteshäuser als „Kraftquellen“ blieben unverzichtbar, doch sollten sich die Gläubigen im Sinne einer „Pilgernden Kirche“ verstärkt zu den „Suchenden und Gelegenheitsgästen“ begeben. Ein Weg sei, sich an Prozessen und Initiativen im Stadtteil oder Dorf zu beteiligen, die Menschen bereichern, auch wenn sie keinen primär kirchlichen Charakter haben, – ob es nun um soziales Engagement, Musik und Kultur oder auch Sport geht.

Die Herbstsynode des Kirchenkreises, zu der sich 83 Synodale im Berufsförderungswerk der Diakonie Michaelshoven versammelt hatten, begann mit einem Abendmahls-Gottesdienst in der Erzengel-Michael-Kirche. Pfarrer Klaus Eberhard rief das historisch bedeutsame Datum in Erinnerung: Die Synode fand am Tag nach dem 9. November statt, als vor exakt 80 Jahren in der Pogromnacht von 1938 tausende jüdische Mitbürger ihres Lebens oder ihrer Lebensgrundlage beraubt wurden – und am Vorabend des 11. November, an dem sich das Ende des Ersten Weltkriegs in diesem Jahr zum 100. Mal jährte. Protestanten, die ja einer Theologie des Wortes anhängen, so Pfarrer Eberhard, müssten sich stets bewusst sein, dass Worte auch Schlechtes bewirken könnten. Das zeigten Kriegstreiber, zu denen große Literaten wie Thomas Mann, aber auch evangelische Theologen wie Adolf von Harnack gehörten, die vor 1914 von einer „notwendigen Katharsis“ und einem „reinigenden Opfer“ gesprochen hätten. „Wenn schon von ‚Opfer‘ die Rede ist, dann muss man über Jesus sprechen, dessen Opfer ein Zeichen der Versöhnung und des Friedens war“, sagte der Pfarrer.

In seinem Grußwort griff Oberkirchenrat Bernd Baucks, Leiter der Abteilung Finanzen und Diakonie im Landeskirchenamt, das Thema politisch-verbaler Hetze auf: „Früher war es Konsens, dass Antisemitismus ein No-Go ist, ich habe den Eindruck, dass der Konsens unter Druck steht.“ Die Grenzen des Sagbaren würden erweitert und ausgetestet: „Die Kirche muss sich diesen Tendenzen entgegenstemmen und entschlossen Haltung zeigen: Die Demokratie wird nicht nur von ihren Feinden zerstört, sondern auch von denjenigen, die sie nicht verteidigen.“

Der Oberkirchenrat ging auch auf die finanzielle Situation der Evangelischen Kirche im Rheinland (EkiR) ein, die sich aufgrund des hohen Steueraufkommens verbessert habe. Langfristig müsse man sich aber auf erhebliche Einschränkungen einstellen. Das sei „nicht inspirierend“, aber auch kein Grund zur Resignation, der Wandel könne auch aktiv gestaltet werden. Eine Blaupause gebe es da nicht, aber in einer veränderten Medienlandschaft etwa müsse sich die Kirche auch Gedanken über neue Wege machen, wie sie Menschen erreichen kann, die keine Gottesdienstbesucher, aber für die Inhalte der Religion empfänglich sind.

Im Bericht des Superintendenten belegte Dr. Seiger das Ausmaß des Wandels anhand von Zahlen für den Bereich des Evangelischen Kirchenverbandes Köln und Region: 1964 waren 420.000 Mitglieder gemeldet, 2017 noch 277.000. In diesem Jahr gehörten im „heiligen Köln“ zum ersten Mal seit dem Mittelalter weniger als 50 Prozent einer der beiden großen Kirchen an. Trotz des großen Zuspruchs zu den zahlreichen Veranstaltungen des Reformationsjahres habe sich dieser Trend weiter fortgesetzt. Man habe es mit einem umfassenden Kulturwandel zu tun, der auch Parteien oder Vereine betreffe. Häufig sei das Zugehörigkeitsgefühl nur „latent“ da, aber dies sollte nicht als „defizitär“ begriffen werden. „Oft sind wir noch auf ,drinnen oder draußen‘ fixiert“, stellte der Superintendent fest. Auch die Unterscheidung zwischen evangelisch und katholisch verliere weiter an Bedeutung. Was das Beschreiten neuer Wege angehe, gerade im Hinblick auf Medien und Kommunikation, setzt der Superintendent große Hoffnungen in die erste Jugendsynode der Evangelischen Kirche im Rheinland im Januar 2019.

Für den vorhandenen latenten Zuspruch sollte aber auch eine „Pilgernde Kirche“, die auch mal eine „Kirche bei Gelegenheit“ sein dürfe, ein gutes und verlässliches Grundangebot bereithalten, wenn es etwa um Amtshandlungen gehe oder Kernkompetenzen wie den Gottesdienst. Daher würden im Kirchenkreis derzeit die Gottesdienstkonzepte der Gemeinden gesichtet und aktualisiert. Wo es möglich ist, sollten selbstverständlich „volkskirchliche“ Strukturen wie Schulgottesdienste, Religionsunterricht und Krankenhausseelsorge aufrecht erhalten bleiben.

„Ernüchtert“ zeigte sich der Superintendent allerdings über die Fortschritte in der Ökumene. „Viel mehr als ‚Trippelschritte‘ sind bisher nicht herausgekommen“, trotz der symbolhaften Handlungen im Reformationsjahr. Äußerungen und Briefe katholischer Bischöfe zu konfessionsverschiedenen Ehen oder zur Abendmahlspraxis seien „kompliziert und in gewisser Hinsicht doppelbödig“, die Diskussion über die Zulassung von Frauen zu allen kirchlichen Ämtern führe die katholische Kirche gar nicht mehr. Einen Grund zur Hoffnung sieht Dr. Seiger aber in der konkreten ökumenischen Arbeit in den Gemeinden und auf regionaler Ebene: „Die Aufgabe der Pilgerschaft in sich wandelnder Zeit und unser Sendungsauftrag einigen uns.“

Das betreffe auch den Auftrag, Zusammenhalt und Menschlichkeit in der Gesellschaft zu fördern. Das habe die gemeinsame Teilnahme an Veranstaltungen zur Flüchtlingsfrage unter dem Motto „Köln zeigt Haltung“ im vergangenen Jahr und zuletzt am 16. September auf dem Roncalli-Platz gezeigt. Zu einer verantwortungsvollen evangelischen Haltung, so Dr. Bernhard Seiger, gehöre es aber auch, „differenzierte Positionen einzunehmen, was das Recht auf dauerhaften Aufenthalt in unserem Land angeht.“ Nur so könnten das Gut des Asylrechts und der Schutz von Bürgerkriegsflüchtlingen dauerhaft gesichert werden.

Entschieden widersprach der Superintendent einem Artikel, der just am Tag der Synode im Kölner Stadt-Anzeiger erschienen war. Unter der Überschrift „Evangelische Kirche unter Druck“ wird der EKD vorgeworfen, sie vermeide die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in ihrem Bereich. Die EKD, so Dr. Seiger, habe den „Anspruch, unmissverständlich nach innen und außen für Klarheit zu sorgen.“ Schutzkonzepte zur Etablierung einer Kultur der Achtsamkeit seien in allen Kölner Kirchenkreisen in Arbeit, es gehe um Prävention. Die Presbyterien im Kirchenkreis sind gebeten, als Grundlage dafür bis Ende Januar in den Gemeinden eine Risikoanalyse zu erstellen.

Auch auf die Zukunft des Diakonischen Werkes Köln und Region ging Dr. Bernhard Seiger in seinem Bericht ein. Er bestätigte, dass die Einrichtung in ihrer bisherigen Form „auf keinen Fall weitergeführt werden“ könne. Es werde nach einer „langfristig tragfähigen und für die Verbandsgemeinschaft finanzierbaren Lösung“ gesucht. Es werden zwei Optionen geprüft: die Übertragung der Arbeitsfelder des Diakonischen Werkes auf die Diakonie Michaelshoven, andererseits die Bildung einer gGmbH. Der Prozess ist ergebnisoffen.

Dabei spiele neben den Interessen der Arbeitsfelder wie Beratungsarbeit, soziale Hilfe, Flüchtlingsarbeit, Familienarbeit oder Seniorenarbeit auch die „Sicherstellung möglichst breiter Mitbestimmungsrechte“ eine Rolle. Im Verlauf der anschließenden Aussprache hoben Synodale den Aspekt der Effektivität im diakonischen Handeln hervor. Andere bedauerten, dass gerade mit dem möglichen Verlust von Beratungsangeboten etwa eine niederschwellige Kontaktmöglichkeit zu kirchenfernen Menschen verloren gehe.

In einem eigenen Tagesordnungspunkt wurde über einen Antrag des Kreissynodalvorstands zur geplanten Änderung des Finanzausgleichsgesetzes durch die Kirchenleitung der EKiR debattiert. Während in der rheinischen Kirche bislang gilt, dass jedem Kirchenkreis unabhängig von der eigenen Finanzkraft mindestens 95 Prozent des durchschnittlichen Kirchensteuer-Pro-Kopf-Aufkommens zur Verfügung stehen, soll künftig das komplette Steueraufkommen gleichmäßig an alle Kirchenkreise, abhängig von der Mitgliederzahl, verteilt werden. Das würde für die Kölner Kirchenkreise, die zu den zehn „gebenden“ Kirchenkreisen gehören, erhebliche Einbußen zur Folge haben. 28 „nehmende“ Kirchenkreise profitieren vom gegenwärtigen Finanzausgleichsystem. Laut Rechnung der Antragsteller würden im Bereich des Verbands am Ende der Umstellungsphase 4,5 Millionen Euro pro Jahr verloren gehen, einer Gemeinde mit 2.600 Mitgliedern fehlten dann 33.150 Euro jährlich.

Die Frage der Gerechtigkeit sei sehr komplex, so Dr. Seiger. Denn in den „reicheren“ Kirchenkreisen seien auch die Kosten höher, wie zum Beispiel die Mieten. Weil er hier einen Verstoß gegen die presbyterial-synodale Ordnung der Landeskirche sehe, die von unten nach oben aufgebaut sei – wobei zur Selbstverwaltung der Gemeinden auch die Steuerhoheit gehöre – , habe der Vorstand des Kirchenverbandes ein juristisches Gutachten erstellen lassen. „Es sieht so aus, als hätten wir Recht mit unserer Sichtweise“, so der Superintendent. Auch hätten andere Kölner Kirchenkreise schon Zustimmung zum Wortlaut des Antrags an die Landessynode signalisiert, wonach bei einer Änderung des Finanzausgleichs auch eine Änderung der Kirchenordnung mit 2/3 Mehrheit nötig wäre. Dafür erhielt der Antrag die einstimmige Unterstützung der Delegierten.

Auf einen Vorschlag von Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul hin soll im Kirchenkreis künftig verstärkt über das Problem des Braunkohletagebaus diskutiert werden. „In unseren Gemeinden haben wir Menschen, die vom Tagebau leben, wir müssen uns der Debatte stellen, auch wenn sie polarisiert.“ Denn der Tagebau widerspreche dem Gebot vom Erhalt der Schöpfung, da stünden schwierige Diskussionen an. Dr. Seiger informierte die Synodalen darüber, dass Pfarrerinnen und Pfarrer aus den besonders betroffenen Gemeinden noch im Dezember zu einem Gespräch auf Verbandsebene eingeladen würden. Dort soll auch darüber diskutiert werden, in welchen kirchlichen Gremien das Thema behandelt werden könnte. Oberkirchenrat Baucks stellte klar, dass die Landeskirche Beteiligungen an Unternehmen abstoße, die mit dem Braunkohletagbau befasst sind.

Pfarrerin Simone Drensler, Skriba des Kreissynodalvorstands, wies in ihrer Zusammenfassung zu den Gemeindeberichten darauf hin, dass mittlerweile zwar alle Gemeinden des Kirchenkreises eine Homepage hätten, diese aber nicht immer auf dem aktuellen Stand seien. Auch sei noch eine gewisse Zurückhaltung bei der Nutzung von Social Media wie Facebook oder Instagram zu beobachten. „Das mag zwar beim internen Gespräch noch tragbar sein, doch sobald man Kontakt zu Vereinen oder anderen Institutionen sucht, wird es ein Problem. Denn die sind oft ganz anders unterwegs“, so die Pfarrerin. „Unsere Kernkompetenz ist die Kommunikation, und die ändert sich gerade elementar.“ Sie regte eine Diskussion über das Thema Digitalisierung im Kirchenkreis an und stieß damit auf große Zustimmung. Wer Unterstützung benötige, so Simone Drensler, könne übrigens beim Amt für Presse und Kommunikation des Verbandes um Hilfe bitten.

Synodalassessor Pfarrer Rüdiger Penczek stellte den Personalplanungsbericht vor

 

Im Anschluss erläuterte Lothar Ebert, Vorsitzender des Finanzausschusses des Kirchenkreises, den Haushalt für das Jahr 2019. So rechnet der Kirchenkreis mit Erträgen in Höhe von rund 697.000 Euro. Dem gegenüber stehen Aufwendungen von ca. 729.000 Euro. Die Differenz von knapp 32.000 Euro aufgrund größerer Instandhaltungsmaßnahmen soll aus den Rücklagen entnommen werden. Der Entwurf des Haushaltes wurde von der Synode beschlossen.

In seinem Personalplanungsbericht stellte Synodalassessor Pfarrer Rüdiger Penczek dar, dass der allgemeine Mitgliederschwund auch den Kirchenkreis Köln-Süd betreffe. Seit 2012 sei die Zahl der Mitglieder hier um 3.000 gesunken. Das werde auch Auswirkungen auf die Zahl der Pfarrstellen haben: Derzeit seien es 24, wenn die momentane Entwicklung anhalte, seien es 2030 nur noch 17. „Wir müssen auch über einen vernünftigen Personalmix reden, also darüber, wie viele Kirchenmusiker, Mitarbeiter in der Jugendarbeit oder Küster wir brauchen“, so Penczek. Vorschläge für Kooperationen zwischen den Gemeinden seien immer willkommen.

PERSONALIEN:
Barbara Bieler, Philippus-Gemeinde Raderthal, beendet zum 31. Dezember ihr Amt als Vorsitzende des Kreisverbands der Evangelischen Frauenhilfe Köln-Süd e. V. Der Verein wird sich aufgrund fehlenden Nachwuchses auflösen. Barbara Bieler war seit 2000 Vorsitzende.

Pfarrerin Almuth Koch-Torjuul wird Ende 2018 ihre Synodalbeauftragung für Frauenarbeit zurückgeben. Eine Nachfolgeregelung konnte bisher noch nicht getroffen werden.

Reinhard Radloff hat seine Synodalbeauftragung für Weltmission niedergelegt, wird aber den Vorsitz des Arbeitsausschusses Partnerschaftsarbeit bis auf Weiteres ausüben. Als sein Nachfolger in diesem Amt wurde Pfarrer Frank Drensler auf der Kreissynode einstimmig gewählt.

KOLLEKTE:
Die Kollekte des Synoden-Gottesdiensts war für die Amadeu Antonio Stiftung bestimmt, die sich für eine demokratische Zivilgesellschaft und gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzt. Eingenommen wurden 326 Euro und 20 englische Pfund.

Stichwort: Kirchenkreis Köln-Süd
Der Evangelische Kirchenkreis Köln-Süd umfasst insgesamt 16 Gemeinden. Dazu gehören: Brüggen/Erft, Brühl, Frechen, Horrem, Hürth, Kerpen, Köln-Bayenthal, Köln-Raderthal, Köln-Rodenkirchen, Köln-Zollstock, Lechenich, Liblar, Rondorf, Sindorf, Sürth-Weiß und Wesseling. Hier leben etwa 65.800 Gemeindeglieder.

Den vollständigen Bericht für die Kreissynode Herbst 2018 von Superintendent Dr. Bernhard Seiger finden Sie hier.

Text: Hans-Willi Hermans
Foto(s): Hans-Willi Hermans