Melanchthon-Akademie: Diskussion über Schnittstellen jüdisch-muslimischer Geschichte
Beispielhafte Biographien aus der Historie. Ermutigungen für die Zukunft. Erhellende Informationen und klare Standpunkte zum Hier und Jetzt. In der Kölner Melanchthon-Akademie (MAK) wurden in Kooperation mit dem in Köln ansässigen Verein Interkultureller Dialog e. V. „Schnittstellen jüdisch muslimischer Geschichte in Deutschland“ lebendig beleuchtet.
Im Gespräch
Konkreter formuliert: jüdischmuslimischer Begegnung in Geschichte und Gegenwart. Dabei speiste sich die analog wie digital durchgeführte Veranstaltung mit dem Untertitel „Ein neuer Blick der Bildungsarbeit auf herrschende Narrative“ aus anschaulichen Erfahrungsberichten wie meinungsfreudigen Einschätzungen insbesondere von drei geladenen Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern. Während die Historikerin Prof. Dr. Sabine Mangold-Will aus ihrer Wohnung zugeschaltet war, saßen der Düsseldorfer Medienwirt Michael Rubinstein sowie der Imam und Islamwissenschaftler Osman Örs auf dem MAK-Podium. Rubinstein war zuletzt Gemeindedirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, davor unter anderem Geschäftsführer des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein.
Haus der Begegnung
Örs ist theologischer Referent des „House of One“ in Berlin – ein seit 2011 wachsendes gemeinsames Projekt von Juden, Christen und Muslimen. Realisiert werden soll „ein gebautes Symbol eines Religionsfriedens“. Ziel ist „ein Haus, unter dessen Dach sich eine Synagoge, eine Kirche und eine Moschee befinden. Ein Haus des Gebets und der interdisziplinären Lehre. Ein Haus der Begegnung, für ein Kennenlernen und den Austausch von Menschen unterschiedlicher Religionen“ und auch solchen, die Religionen fernstehen.
Joachim Ziefle, als MAK-Studienleiter verantwortlich für politische Bildung und zivilgesellschaftliches Engagement, und seine moderierende Kollegin Pfarrerin Dorothee Schaper, in der MAK zuständig für die Fachbereiche christlich-muslimische sowie interreligiöse Begegnung, konnten vor Ort gut zehn und online über fünfzig Besuchende begrüßen.
Impulsreferat von Mangold-Will
Sie folgten zunächst einem dreißigminütigen Impulsreferat von Mangold-Will, die bislang unter anderem an Universitäten in Duisburg-Essen, Köln, Paris und Wuppertal gelehrt hat. Sie blickte historisch-kritisch auf die jüdisch-muslimischen Beziehungen in Deutschland insbesondere in den 1920/30er Jahren. Eingangs erinnerte sie an die (mindestens) 1700 Jahre lange Geschichte des Judentums in Deutschland.
Für muslimisches Leben hierzulande sei ein deutlich jünger ausfallendes Startdatum viel schwieriger zu benennen. „Jüdisches und islamisches Leben trafen in Deutschland spätestens mit der Intensivierung der deutsch-türkischen Beziehungen unter Reichskanzler Bismarck in den 1880er Jahren aufeinander.“ Die Zeit des wilhelminischen Kaiserreiches ab 1890 habe so etwas wie eine Auftaktphase engerer Beziehungen bedeutet. Erst dann hätten so viele Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens in Deutschland gelebt, „dass es wirklich auch zu einer Begegnung kommen konnte“, erläuterte Mangold-Will Sie stellte beispielhaft wenige Personen und Paare vor, in denen sich die Geschichte von Judentum und Islam in Deutschland gleichsam „verdichtet“.
Zunächst ging sie ein auf das deutsch-jüdische Ehepaar Laura (geb. Schleier) und Josef Horovitz (1874–1931). Josef Horovitz, Professor für orientalische Sprachen an der Uni in Frankfurt/M., sei in der Zwischenkriegszeit wahrscheinlich der wichtigste und zugleich unbekannteste Vermittler zwischen Judentum und Islam gewesen; vor allem, aber nicht nur in Deutschland. Während seines Orientalistik-Studiums in Berlin habe Horovitz zu einer Gruppe jüdischer Männer gehört, die sich gezielt mit den sogenannten semitischen Sprachen, der Geschichte und den Religionen des Nahen Ostens befasst hätten.
Einerseits sei diese Hinwendung für sie gleichbedeutend mit einer Beschäftigung mit dem Judentum gewesen. Andererseits habe die „gezielte Auseinandersetzung mit der Geschichte und Gegenwart der islamischen Welt“ auch eine Ablenkung von der Beschäftigung mit dem Judentum bedeutet. „Diese jungen Orientalisten wollten das Judentum besser verstehen, indem sie den Islam zu verstehen suchten“, erläuterte die Historikerin unter anderem.
„Eigentlich sensationell“ nannte Mangold-Will die Berufung von Horovitz 1907 auf eine ArabischProfessur nach Aligarh in Indien an das Muhammadan Anglo Oriental College. Aber nicht nur er habe Indern Arabisch beibringen sollen, „damit sie besser den Koran lesen können“. Gleichzeitig habe seine Frau Laura den Schülern ihres Mannes Deutsch gelehrt und damit die zweite wichtige Sprache der Wissenschaftsliteratur über den Islam in dieser Zeit. Die Erfahrungen in Aligarh hätten Josef Horovitz zutiefst geprägt, stellte Mangold-Will fest. Etwa die ganz persönliche, unmittelbare Erfahrung, „dass es auf der Welt einen Ort gibt, an dem Muslime einen deutschen Juden berufen, um sich von ihm Arabisch und von seiner Frau Deutsch beibringen zu lassen“.
Dass es also einen sensationellen akademischen Raum gebe, „in dem das Gespräch zwischen Juden und Muslimen über Arabisch, den Islam und die Geschichte wie die Gegenwart der islamischen Welt möglich war“. Weiter porträtierte die Historikerin mit dem Ägypter Dr. Muhammad Helmy und dem Inder Dr. Khwaja Abdul Hamied zwei Muslime, die in den 1920/30er Jahren in Deutschland studiert und gelebt haben. Helmy kam 1922 zum Medizinstudium nach Berlin, wurde 1933 Oberarzt im Krankenhaus in Moabit. Vor 1933 sei das die Klinik mit den meisten jüdischen Ärzten in Berlin gewesen, danach eine Hochburg für Zwangssterilisierungen geworden.
Zunächst wegen seiner arabischen Herkunft besonders gefördert, scheine Helmy aus Sicht der Nazis 1937 nicht mehr tragbar gewesen zu sein, so Mangold-Will. Nach seiner Entlassung privat praktizierend, habe der Mediziner sich bereits länger „ein klares Bild vom Nationalsozialismus gemacht“. So habe er entgegen der meisten deutschen Ärzte auch jüdische Patient*innen behandelt. Eine von ihnen habe Helmy mit Beginn der Deportation der Berliner Juden 1941 zum Untertauchen überredet und das dafür notwendige Netzwerk organisiert. Deren Enkelin habe er in seiner Praxis angestellt, ihr ein Kopftuch und einen anderen Namen gegeben sowie eine Scheinkonversion zum Islam und Scheinehe mit einem muslimischen Freund vermittelt. Das rettete beiden das Leben.
Hamied, 1898 im indischen Aligarh geboren, sei für ein Chemiestudium nach Berlin gekommen. Aufgrund seiner Herkunft aus der Aligarh-Bewegung, einer reformatorischen Strömung innerhalb des indischen Islam, habe er sich der von der indischen reformatorischen Ahmadiyya-Bewegung getragenen islamischen Gemeinde um die 1928 im Stadtteil Wilmersdorf eröffnete Moschee angeschlossen. „Politisch stand Hamied dem indischen Nationalisten und Sozialrevolutionär Chattopadhyaya nahe.“
Dieser habe in Berlin das „Indien news service and information bureau“ gegründet. Dessen ideologische Ausrichtung habe geschillert zwischen einer sozialistischrevolutionären Moskautreue (Kommunismus) und einem antikolonialen Nationalismus. Entsprechend habe Hamied sich stets engagiert „für einen säkularen indischen Nationalismus, in dem Platz für Inder gleich welcher Religion war“. In der Moschee wie im Indien bureau sei Hamied einer Reihe von jungen jüdischstämmigen Frauen begegnet, von denen einige zum Islam konvertiert seien. Dort habe er die in Litauen gebürtige Jüdin, überzeugte Kommunistin und Bureau-Sekretärin Luba Derczanska kennengelernt. 1928 heirateten beide zuerst in der Wilmersdorfer Moschee, ein zweites Mal 1929 in einer Synagoge in Wilna.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten habe das Paar Deutschland Richtung Indien verlassen. „Sie nehmen packenweise deutsche Erinnerungen mit“, sagte Mangold-Will. Nach Gründung des Staates Israel habe Hamied zahlreiche Briefe in indischen Zeitzungen veröffentlicht, in denen er ausdrücklich die in Wilmersdorf erfahrene Nähe und persönliche Freundschaft zwischen Juden und Muslimen verteidigt habe.
Abschließend merkte Mangold-Will für die Diskussion unter anderem an, dass wir es bei ihren Beispielen mit Menschen zu tun hätten, „die sich ihrer Religion und Kultur sehr wohl bewusst waren, die aber entschieden daraus ableiteten, dass Religion kein dominantes oder gar ausschließliches Kriterium war, sondern eher im Sinne einer Säkularisierung Religion als reformierbar wahrnehmen und vor allem der Nation hintanstellten“. Außerdem habe ihnen, sensationell für ihre Zeit, „Nation nie als eine Gemeinschaft (gegolten), in der nur Menschen einer Religion Platz fanden“. Das sei doch etwas, was wir von Horovitz, Helmy und Hamied lernen könnten, betonte sie. Zum Auftakt hatte Mangold-Will noch von ihrer Skepsis im Vorgespräch mit Ziefle gesprochen, als Historikerin etwas zum Thema beitragen zu können.
Podiumsgespräch
Das Podiumsgespräch mit Osman Örs und Michael Rubinstein leitete Schaper mit dem Bedauern ein, dass in Köln kein „House of One“ existiere. „Aber wir geben uns alle Mühe, es in anderer Weise hier zu tun, nämlich jüdisch, muslimisch und christlich gemeinsam zu denken und auch humanistisch und atheistisch.“
Rubinstein, der die nordrhein-westfälische jüdische und Begegnungsszene aus dem Effeff kenne, habe mit der muslimischen Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin Lamya Kaddor das „wunderbare dialogische“ Buch „So fremd und doch so nah: Juden und Muslime in Deutschland“ (2013) geschrieben. Darin hätten beide sich gemeinsam auf den Weg gemacht, über verschiedenste Themen miteinander ins Gespräch zu kommen. Der Verlag habe es genau umgekehrt „So nah und doch so fremd“ nennen wollen, informierte Rubinstein.
Ihm und Kaddor aber sei es wichtig gewesen, das Gemeinsame, das Nahe zu betonen, nicht das Fremde. „Das ist die ganze Crux am jüdisch-muslimischen Dialog, dass wir selbst auf beiden Seiten häufig gar nicht wissen, wie viel mehr wir gemeinsam haben. Weil wir das nicht wissen, ist man einander auch fremd.“ Wenn er gefragt werde, ob das 2022 immer noch aktuell sei, würde er optimistisch erwidern: „Ja, wir sind uns immer noch nah, aber wir sind uns leider auch immer noch fremd.“ Inzwischen hätten sich viele Initiativen gegründet, der Dialog sei in gewisser Hinsicht institutionalisiert worden, so Rubinstein.
Aber auf der persönlichen Ebene, so seine Prognose, werde noch viel Wasser den Rhein hinunterfließen, bis man sagen könne, „wir haben eine wirkliche Begegnungskultur auf der zwischenmenschlichen Ebene, fernab der Podien und der Politik“. Schaper wollte wissen, ob das einem gewissen Pragmatismus geschuldet sei, weil in den Gemeinden „so viele andere Themen auf der Tagesordnung“ stünden. Man dürfe die Zahl der jüdischen Menschen in Deutschland nicht überschätzen, so Rubinstein. „In jüdischen Gemeinden sind es keine 100.000 mehr.“ Insgesamt gehe man von rund 250.000 jüdischen Menschen in Deutschland aus, sprach er von einer verschwindend kleinen Minderheit. Tatsächlich binde die Integrationsarbeit mit jüdischen Zuwanderern innerhalb der Gemeinden bis heute sehr viele Kräfte, informierte er. Hinzu komme, dass viele Mitglieder jüdischer Gemeinden säkular seien, sich mit der eigenen Religion nicht so beschäftigten und dadurch auch weniger oder gar nicht mit der Dialog-Thematik.
Den Menschen in jüdisch-muslimischen Partnerschaften und Ehen zollte Rubinstein „wirklich Respekt, weil ich glaube, in beiden Communities ist das immer noch etwas, was zumindest erst mal kritisch angesehen wird“. Schaper fragte, ob im Weiterdenken über unsere Gesellschaft die Idee einer jüdisch-muslimischen Leitkultur inspirierend sei. „Ich mag den Begriff überhaupt nicht“, so Rubinstein. Der Begriff erhebe einen Anspruch. Stattdessen könne er sich vorstellen, dass man sich jüdisch-muslimisch „jetzt mal auf uns“ konzentriere.
Danach frage, „was sind unsere Gemeinsamkeiten, wo können wir gemeinsam neu denken, wo können wir uns aneinander abarbeiten?“. Und das „in einem konstruktiven kritischen Dialog: Wo können wir was erreichen, wo können wir einen Mehrwert für unseren Dialog schaffen? Aber auch weitergehend. Warum sollen wir nicht einen Mehrwert schaffen, den wir letztendlich auch auf die Mehrheitsgesellschaft übertragen.“ Für ihn persönlich gehe mit dem „House of One“ ein Traum in Erfüllung, sagte Örs. Denn er sei schon über zwei Jahrzehnte im interreligiösen Dialog verortet.
Die Anschläge vom 11. September 2001 haben laut Örs viele Muslime in Deutschland und in der Welt „wachgerüttelt und innerlich zerrüttet“. Die Ereignisse hätten „uns bewegt, auf die anderen zuzugehen“. Er sprach davon, dass Muslime mit einem ganz verzerrten Bild von sich selbst konfrontiert worden seien, abseits der Normalität. Man habe Anfeindungen und Diskriminierung erfahren. Örs führten der 11. September und seine Folgen hin zum Dialog. Er spürte den „Bedarf, mich selber zu erklären und das verzerrte Bild des Islams“ geradezurücken. Über die Jahre habe er immer deutlicher gemerkt, wie sehr ihn der Austausch mit christlichen und jüdischen Gesprächspartner*innen selber erfülle: das Entdecken einer unsere Gesellschaft bereichernden Vielfalt, auch mit theologischen Gemeinsamkeiten und Differenzen.
In diesem Sinne sei das gemeinsame Haus ein Traum für viele auch über Deutschland hinaus, berichtete Örs. Begeisterte Menschen aus aktuell über sechzig Ländern bauten quasi mit an dem Projekt, indem sie symbolische Steinen ab zehn Euro erwerben würden. „Das Haus zu bauen ist uns allen wichtig“, so Örs. Es habe eine gewisse Strahlkraft. Aber letzten Endes sei es auch nur ein physischer Körper. Dieser könne allein bestehen, wenn darin auch ein Herz und eine Seele herrschten. Es müsse nicht in jeder Stadt ein „House of One“ stehen. Aber es sei wichtig, „in seinem Herzen Raum zu schaffen für den anderen“.
Manchmal schaffe man hier in der MAK temporär ein kleines „House of One“, sprach Schaper davon, dass man zusammen Koran, Tora und Bibel lese, gemeinsam studiere und sich austausche. Ihre Erfahrung sei, dass manchmal Bruch- und Streitlinien nicht so sehr zwischen den jüdischen, muslimischen und auch christlichen Gesprächspartnern verliefen, sondern eher innerhalb der jeweiligen Religionen und zwischen innerreligiösen Positionen. Im „House of one“, so Örs, sei man sich klar darüber, dass keine der drei Gründergemeinden das Judentum, den Islam, das Christentum direkt repräsentiere. „Wir sind uns bewusst, dass wir ein Teil unserer jeweiligen Vielfalt sind.“ Diese Vielfalt in unseren Religionen und Traditionen wolle man auch im „House of one“ abbilden, wies er hin auf eine einladende Grundhaltung.
Muslimisches Leben hierzulande sei noch relativ jung. Insofern befänden sich muslimische Communities in einem noch nicht abgeschlossenen Selbstfindungsprozess. Das brauche eine gewisse Zeit. Doch Örs zeigte sich zuversichtlich, da auch „relativ konservative, verschlossenere muslimische Gemeinden in Berlin sich in den interreligiösen Dialog“ begeben würden. Das sei vor zehn, zwanzig Jahren nicht denkbar gewesen.
Eine klare Antwort erhielt Schaper auch auf ihre Frage, ob Christen sich im jüdisch-muslimischen Dialog zurückhalten sollten. „Ja, insofern schon zurückhalten, dass man uns immer gerne gute Ratschläge gibt, wie wir den Dialog zu führen haben. Das brauchen wir nicht“, konstatierte Rubinstein. „Auf der anderen Seite ist es aber sicherlich nicht verkehrt, jemanden zu haben, der auch dabeisitzt, und den manchmal schwierigen Dialog auch moderiert, und manchmal sogar katalysiert.“ Der einen anderen Blick auf das Ganze habe. „Als Berater gerne, aber nicht als ´weiser Ratgeber´.“
Man müsse Christen nicht ausschließen, aber „es muss schon klar sein, um wen es primär geht!“ Zudem meinte Rubinstein, dass der jüdisch-muslimische Dialog in Deutschland noch mehr Vertrauen benötige. Muslime könnten aus den Erfahrungen des jüdisch-christlichen Dialogs lernen, so Örs. Man müsse offen sein zu lernen und sich auszutauschen, berichtete er etwa von einem Ramadan-Dialog mit einer jüdischen und christlichen Gemeinde. Dabei könnten Muslime ihrerseits ein Motor sein. Letzten Endes, glaubt Örs, trügen „alle unsere Traditionen und Religionen das Selbstverständnis in sich, den Dialog mit seinem Gegenüber zu führen und ein friedliches, wertschätzendes, respektvolles Miteinander gemeinsam mitzugestalten“.
Aus dem Chat gab Ziefle unter anderem Fragen wie diese weiter: Wie macht man Integrationsarbeit überhaupt möglich, welche Projekte gibt es? Mit welchen Argumenten können Dialogfremde überzeugt werden? Für Rubinstein ist in diesem Kontext Integration ein Reizwort. „Warum muss ich integriert werden? Ich bin in Deutschland geboren, bin deutscher Staatsbürger.“ Schon der Begriff Integration sei falsch. Ebenso wenig brauche er die drei ersten Buchstaben im Wort Mitbürger. Das klinge immer so, als wenn jüdische Menschen an der Seite stünden. „Tun wir nicht.“ Von daher müssten sie auch nicht integriert werden. Es gehe um einen respektvollen Dialog auf Augenhöhe. Wohlgemerkt auf einer Ebene mit den gleichen Rechten und mit den gleichen Pflichten.
Örs, gebürtiger Bremer, folgte Rubinsteins Sichtweise. Auf die zweite Frage antwortete er, dass es verschiedene zu stützende Dialogebenen gebe, Leute zu begeistern. Das demokratische Deutschland biete uns einen wundervollen Rahmen für ein Miteinander. Örs betonte die Verantwortung, „unsere Gemeinden in den Dialog einzubeziehen“. Auch mit niedrigschwelligen Angebote wie dem jüdischen Puppentheater „Bubales“. Menschen im Chat wünschten sich konkrete Ideen, wie man den Dialog mit jungen Menschen anpacken könne, wandte sich Ziefle abermals an die Gäste.
Örs empfahl eine gemeinsame Beschäftigung mit uns verbindenden Themen wie Umwelt, Klimakrise oder, auch aktuell, Krieg. Er schlug vor, den Weg der Information, der Klärung von Vorurteilen und Beseitigung von Unkenntnis kooperativ zu suchen. Etwa dadurch, dass Rabbiner und Imame gemeinsam in Schulen gingen und über das Judentum und den Islam sprächen, wies er etwa hin auf das Projekt „meet2respect“. „Gemeinsamkeiten muss man vermitteln, das kommt nicht von alleine.“ In der Hauptstadt förderten ebenso beispielsweise die Junge Islamkonferenz und das Berliner Forum der Religionen das Zusammenkommen. Dazu trage bei ebenso das 2018 gestartete “Young House of One”.
„Sie müssen die Leute da abholen, wo sie stehen“, sagte Rubinstein. In einer Sprache und mit Themen, die die jungen Menschen wirklich und alltäglich beschäftigten. Er nannte etwa den jüdischen Rapper Ben Salomo, der mit ihnen auch über gemeinsame Erfahrungen wie Alltagsrassismus und – diskriminierung spreche. Orte einer vertrauten Begegnung würden ebenso über den Sport geschaffen. Trotz antisemitischer Anschläge sowie negativer Erfahrungen auf muslimische Seite, so Rubinstein, lebten wir in Deutschland insgesamt in einem friedlichen Nebeneinander. Basierend auf diesem friedlichen Kontext sei es unsere Aufgabe zu gewährleisten, dass man auch auf der jugendlichen Ebene niederschwellig in ein Miteinander komme. Dies werde auch durch das jüdisch-muslimische Dialog-Projekt „Schalom Aleikum“ des Zentralrats der Juden in Deutschland gefördert.
Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich
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