„Man kann auch mit den Füßen beten“: FC-Andacht im Dom

Wenige Stunden vor der Begegnung zwischen den Bundesligisten 1. FC Köln und VfL Wolfsburg mochte an eine Niederlage der Mannschaft mit dem Geißbock auf der Brust kaum jemand denken. Jedenfalls nicht in Köln und nicht im Dom. Dort fand traditionell zur Heimspiel-Premiere des FC in der angelaufenen Spielzeit eine ökumenische Andacht statt. Es werde in dieser Saison nicht so häufig vorkommen, dass FC-Fans mit ihrem Club leiden müssten, hatte darin Superintendent Markus Zimmermann zuversichtlich eingeflochten. Ein pfiffiger Fürbittensprecher prognostizierte voller Überzeugung sogar einen Sieg der Rot-Weißen. Doch bekanntlich kam es anders …

Gerne auch als „FC-Andacht“ bezeichnet, ging es im Fußball-Gottesdienst tatsächlich „um alle Fans, um alle Spieler, um alle Ligen“. In den von FC-Anhänger und -innen vorgetragenen Fürbitten wurde für Toleranz, Fairness, eine unfallfreie Saison und Gewaltlosigkeit gebetet. Den „Geist der Klugheit“ erbat man für Schiedsrichter, Verantwortliche in Vereinen und in der Medienberichterstattung. „Lass alle erkennen, dass den Fans der gegnerischen Mannschaft nicht mit Hass und Gewalt begegnet werden darf, denn die andere Mannschaft ist unser Konkurrent, aber kein Feind.“

Erneut nahmen weit über tausend Menschen (fast) jeden Alters teil. Was diesen Termin immer wieder besonders macht? Fast alle Besuchenden kleiden sich in den Vereinsfarben Rot-Weiß. Mehrheitlich tragen sie Trikot oder Schal. Meistens beides. Sogar größere Fahnen werden dem Anlass entsprechend in der Kathedrale geschwenkt. Erst recht zum Finale, wenn die FC-Hymne „Mer stonn zo dir“ erklingt. Auch in diesem Jahr sangen die Fans in und außerhalb der Bankreihen enthusiastisch mit und sorgten mit ihren „lebendig gewordenen“ Schals für eine großartige Szenerie.

„Rot steht für das Martyrium, Weiß für die Auferstehung“

Im Altarraum verfügten der katholische Pfarrer Dr. Wolfgang Fey und sein evangelischer Kollege Markus Zimmermann, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Nord, über eine außergewöhnliche Perspektive auf das Geschehen. Auch sie interpretierten zum Orgelspiel von Simon Schuttemeier den Hymnen-Text und präsentieren ihre Schals. Eingangs hatte Fey vielsagend vertraut gemacht mit der liturgischen Bedeutung der Farben des Fan-Utensils und Clubs: „Rot steht für das Martyrium, Weiß für die Auferstehung.“

„Das ist ein tolles Bild“, eröffnete Superintendent Markus Zimmermann seine Ansprache. Er schwärmte im Altarraum von dem beeindruckenden Blick auf gefühlt zehntausende FC-Fans. Dieses Bild mache diesen ohnehin beeindruckenden Raum noch viel beeindruckender. Hauptsächlich gebe es zwei Räume in Köln, die beeindruckend seien: Der Dom und das RheinEnergie-Stadion – „wenn es gleich auch wieder so gefüllt ist, wie wir das kennen“.

Alles das, was den 1. FC Köln auch sportlich ausmache, „wäre nichts ohne euch, die Fans“, verdeutlichte Zimmermann. Um diese Fans würden wir beneidet in anderen Fußballhochburgen. Um Fans, die mitfieberten und zu ihrem Verein stünden. Die manchmal auch ein bisschen mitleiden müssten. „Aber das wird in dieser Saison nicht so oft vorkommen“, verbreitete Zimmermann Hoffnung.

„Solche offenen, begeisterungsfähigen, optimistischen Menschen brauchen wir“

Das Zueinanderstehen „passt eigentlich auch zu dem, was ich euch mitgeben will“, griff der Theologe einen Satz aus einem alten Psalm auf: „Gott stellt unserer Füße auf weiten Raum.“ Genau das sei das Geheimnis der Fans. „Dass ihr bodenständig seid. Dass ihr mit beiden Füßen auf der Erde steht.“ Aber das Allerwichtigste sei, „dass wir eure Herzen haben, die Herzen der Fans“. Es seien ganz unterschiedliche, tolle Menschen hier. Bei dem, was uns alle zusammenführt, gelte auch nicht katholisch oder evangelisch. Da gelte nur Fan vom FC zu sein. Das Geheimnis sei, dass Gott unsere Herzen weit mache, „auf dass wir zusammenstehen“. Derjenige, der diesen Satz vor über 2000 Jahren im Exil gesagt habe, habe gewusst: „Gott stellt meine Füße auf weiten Raum.“ Zimmermann nannte es ein Pfund, was wir in Köln hätten. Nämlich „euch Fans, die ihr zusammensteht, die ihr euch immer wieder begeistern lasst und die eben manchmal auch leidensfähig sind“. Das alles komme in diesem Psalmwort zum Ausdruck. Die Toleranz, die Begeisterung, die wir im RheinEnergie-Stadion immer wieder erlebten, sollten uns auch in dieser Saison beflügeln. Und sie sollten ausstrahlen auf unser Leben im Alltag, hofft Zimmermann. „Nämlich sich zu begeistern, zusammenzuhalten, offen zu sein, eben auch für andere Menschen, so unterschiedlich wie ihr auch alle seid.“

Und das sei ein Pfund, das weit über das samstägliche Spiel hinausgehe. „Solche offenen, begeisterungsfähigen, optimistischen Menschen brauchen wir.“ Wir bräuchten sie ebenso außerhalb des Stadions. „Wir brauchen sie in den Kirchen und in unserem Land“, appellierte er, die Demokratie zu schützen und zu stärken. Wir sollten handeln gemäß dem kölschen Motto: „Jede Jeck is anders“. Dabei fungiere auch der Verein 1. FC Köln selbst als Vorbild mit seiner guten Arbeit, die er weit über das Sportliche hinaus leiste. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Das würden wir erfahren und wahrnehmen, auch in dieser Saison. „Und dann werden wir mit Sicherheit auch erfolgreich sein“, so der Superintendent.

Fey stellte seiner Ansprache ein Gleichnis aus dem Evangelium nach Lukas voran. Dabei geht es einerseits um einen von seiner eigenen Gerechtigkeit überzeugten und sich über andere Menschen erhebenden Pharisäer. Andererseits um einen demütigen, Gott um Gnade bittenden Zöllner.

„Ein guter Fan, ein guter Club achtet darauf, sich nicht zu überheben“

Dieser Text enthalte den auch in diesem Moment wichtigen Gedanken, „dass wir uns nicht auf falsche Weise erhöhen“ sollten, erklärte der Leitende Pfarrer der Katholischen Kirchengemeinde Sankt Pankratius in Köln-Junkersdorf. „Die größte Gefahr ist, dass wir denken, wir sind besser als die anderen, wir können mehr, wir haben sozusagen jetzt schon gewonnen, weil wir der FC sind. Wir sind sozusagen die allerbesten.“ Mit diesem falschen Gedanken aber schließe man alles das aus, was man wirklich brauche: spielerisches Können, wirkliches Fan-Sein, ein gutes Spiel machen, Fairness. „Ein guter Fan, ein guter Club achtet darauf, sich nicht zu überheben. Sondern alle mitzunehmen, und gut zueinander zu stehen“, fasste Fey zusammen.

In den Dom hatte er zwei Gedanken mitgebracht. Quasi einen für jede der beiden Halbzeiten des Spiels. Der erste kreiste um das 60-jährige Bestehen der Fußball-Bundesliga. Fey war die große Freude anzumerken im Austausch mit den Fans, dass natürlich der 1. FC Köln als erster Bundesliga-Meister Geschichte geschrieben habe. „Wisst ihr, was das Schönste dabei war?“, fragte er schalkhaft weiter. Dabei gestand er sich ein, jetzt das Gegenteil von dem zu tun, wozu er gerade noch geraten habe. „Wisst ihr, wer nicht dabei war? Genau, der FC Bayern München.“ Man komme nicht in die Kirche allein, um etwas zu erbitten, sondern auch, um Danke zu sagen, fuhr er fort. Vielleicht sei dieser Gottesdienst auch ein Dankeschön für sechzig Jahre zueinanderstehen, gutes Spiel und Erfolge, aber auch gut ertragene Misserfolge.

Feys zweiter Gedanke drehte sich um die Frage, was es zum Fußballspielen brauche. Beides hatte er mitgebracht, nämlich einen Ball und – der Pfarrer machte es spannend – eine Ballpumpe. Der beste Ball nutze nichts, wenn er nicht richtig mit Luft gefüllt sei, stellt der Pfarrer fest. Ihm sei aufgefallen, dass es für den Fahrradschlauch und das Innenleben eines Fußballs das alte griechische Wort Pneu gebe. Es bedeute Luft und Geist. „Ich glaube, die Fußbälle überall in der Liga sind identisch gut. Aber den Geist, den wir da reinpumpen, auf den kommt es eigentlich an.“ Diesen Geist wolle man erbitten. „Dass wir tatsächlich in einem guten Geist miteinander in die Liga gehen und dass wir spielen aus einem guten Geist heraus, alle, und dass uns dieser Geist nicht verlässt.“

„Ich wollte immer mal im Dom einen Fußball schießen“, erntete Fey Erstaunen und noch mehr ermutigenden Applaus. Schließlich verzichtete er auf die persönliche Umsetzung seiner Idee. Stattdessen fand er in Theo aus dem Nordbadischen einen Freiwilligen. Der aufgeweckte Achtjährige sorgte mit einem hohen Schuss vom Altarraum ins mittlere Kirchenschiff für ein Novum in der Geschichte des sakralen UNESCO-Weltkulturerbes in Köln. Zuvor hatte Fey dem jungen Fan versichert, die Hoffnung des FC auf seine Füße zu legen: „Man kann auch mit den Füßen beten.“

Text: Engelbert Broich
Foto(s): Engelbert Broich

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