Bewegender Abschied von der Martin-Luther-Kirche in Walberberg

Mit den Worten aus dem Hebräerbrief „Jesus Christus – gestern, heute und in Ewigkeit“ begrüßte Pfarrerin Sandra Nehring die corona-bedingt wenigen Gäste des Entwidmungsgottesdienstes Ende März in der Martin-Luther-Kirche in Brühl-Walberberg. Jesu Einzug in Jerusalem sei der Beginn einer schweren Zeit gewesen. „Jesus stirbt am Kreuz. Stille und Trauer. Tiefe folgt. Heute wissen wir: Es geht weiter. Heute bekennen wir: Durch die Tiefe führt Gottes Weg zur Verherrlichung. Heute vertrauen wir: Sein Weg ins Dunkel war ein Weg ins Licht.“

In den vergangenen Tagen sei dies im Kirchraum und in den Gemeinderäumen immer wieder zu spüren gewesen – und Stille zu hören, wenn Menschen Abschied genommen hätten. „Trauer ist nicht das Letzte, das diese Kirche von uns hören soll. Jesus Christus – heute und derselbe auch in Ewigkeit, es sind diese Worte, die die große Glocke der Martin-Luther-Kirche als Inschrift trägt. Und sie erinnern mich daran: Es geht weiter. Unser Weg als Gottesvolk geht weiter.“

Bernhard Seiger, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Köln-Süd, sprach von Momenten, in denen man zupacken müsse. „Da muss man ,ja‘ sagen und die Gelegenheit nutzen.“ Und dann könne es geschehen, dass die Situation vorbei sei. „Es bleibt ein schales Gefühl zurück. Kennen Sie dieses Gefühl, dass da ein Moment ist, in dem man hätte handeln müssen, und man ihn verpasst hat?“ Diese Momente gebe es beispielsweise in Diskussionen, in Beziehungen und Filmen. Zur richtigen Zeit das Richtige zu tun, sei eine hohe Kunst.

Seiger erinnerte an den Predigttext aus dem Markus-Evangelium, den Pfarrerin Renate Gerhardt vorgetragen hatte. Dabei gehe es um eine Geschichte, bei der es auf den Moment ankommt. Eine Geschichte, die von ganz viel Zärtlichkeit geprägt sei. Die Frau, die Jesus mit dem kostbaren Öl salbe, habe den Moment getroffen. Das Öl, das die Frau Jesus über den Kopf gegossen hatte, habe den Wert eines Arbeiter-Jahresverdienstes gehabt. Es müsse eine vermögende Frau gewesen sein, die damit ihre höchste Verehrung ausgedrückte. Sie wollte damit Jesus die Kraft geben, seinen Leidensweg zu gehen. „Deshalb hören wir diese Worte an Palmsonntag.“

Die Jünger greifen die Frau an, weil sie das Salben als Verschwendung wahrnahmen. Man hätte das Öl verkaufen und mit dem Geld vielen Armen helfen können. Plausibel, so Seiger. Aber es habe auch etwas Anmaßendes, anderen vorschreiben zu wollen, was sie mit ihrem Geld tun. „Man kann diese Geschichte nur verstehen, wenn man sich in die Perspektive der Frau hineindenkt. Ihr Tun geschieht nicht aus Berechnung, sondern aus Liebe und Hingabe. Und Liebe rechnet nicht. Die Frau hat den entscheidenden Moment erfasst und genutzt.“

Nach Ostern hätten die Jünger anders über diesen Moment nachgedacht. Ihnen sei klar geworden, dass die Frau etwas gespürt habe, dass sie nicht gesehen hatten. Sie habe gegenüber dem Mann aus Nazareth zum Ausdruck gebracht: ,Du bedeutest mir etwas.‘ Sie gibt nicht nur eine Sache, sondern auch ein Stück von sich selbst.“

Den Predigttext habe man in der Martin-Luther-Kirche gehört, die von 1969 bis 2021 den Menschen ein Stück Heimat gewesen sei, sagte der Superintendent. „Gut 51 Jahre Gottesdienste, Gemeinschaft, Zusammenkommen, Taufen, Hochzeiten, Trauerfeiern. Hier wurde Jesus Christus geehrt.“

Seiger erinnerte an die handgeschriebene Bibel der Gemeinde, die in sechs Bänden auf dem Altar stehe. „Hier ist das passiert, was die Frau in Bezug auf Jesus gespürt hat. Hingabe zu den Menschen, in denen sie Nähe und Wärme brauchten. Wie oft gab es den richtigen Moment an diesem Ort?“ Wie oft hätten sich Kinder, Männer und Frauen in der Martin-Luther-Kirche an Jesus gewandt mit den Worten „Ich brauche dich an meiner Seite“? Wie oft hätten sie Jesus beschenkt, etwa mit Gesang, und damit zum Ausdruck gebracht: „Du bedeutest mir etwas. Du bist mir auch dann verbunden, wenn ich mich alleine fühle. Du kennst das. Und ich bin froh, dass Du an meiner Seite bist.“

Es sei der richtige Entschluss im Jahr 1966 gewesen, „hier an diesem Hang mit dieser wunderbaren Aussicht zu bauen“. Es habe damals den Bedarf gegeben. Viele Evangelische seien zugezogen und hätten einen Ort gesucht, an dem man zusammen sein konnte. Von 2015 bis 2018 habe das Presbyterium ernsthaft geprüft, „was für die Gemeinde jetzt dran ist“. Rückgang der Gemeindegliederzahlen, weniger Mittel, Rückgang der Pfarrstellen. „Es war richtig zu entscheiden, ja, es ist schmerzlich, aber es ist dran, jetzt drei unserer Kirchen zu schließen und unsere Liebe und Energie zu konzentrieren auf die anderen Orte. Der Ort ändert sich. Die Aufgabe nicht. Es kommt auf das an, was geschieht. Und nicht darauf wo. Wo die Frau Jesus mit dem wertvollen Öl beschenkt hat, wissen wir nicht. Was zählt, ist ihre Liebe. Von ihr wird erzählt.“ Und es wäre wunderbar, wenn erzählt würde, dass die Christinnen und Christen in Walberberg sich um die Menschen kümmerten. Die Christenmenschen in der Ökumene nähmen diese Aufgabe gemeinsam wahr.

Es sei ein Schatz, dass die ökumenische Gemeinschaft in den vergangenen Jahren derart gewachsen sei, dass die katholische Nachbargemeinde St. Walburga den evangelischen Schwestern und Brüdern ihren Kirchraum für Gottesdienste zu Verfügung stelle. Gemeinsam werde gefeiert, das sei der „richtige Moment“ im Jahr 2021.

Die Bibel und das Abendmahls-Werkzeug würden in St. Walburga ihren Platz finden. Die Glocken der Martin-Luther-Kirche würden zukünftig in St. Walburga läuten. „Als bronzene Zeichen unserer Zeit in der Martin-Luther-Kirche. Und sie künden: Ihr bedeutet mir etwas. In der Ökumene dienen wir einander. Und tun das, was die Frau an Jesus getan hat: Das Richtige zur richtigen Zeit.“ Die Abschiedsrituale seien Zeichen der Liebe und der Dankbarkeit und der Treue. „Die Frau von Bethanien zeigt uns, dass es richtig ist, intensiv zu leben und alle Energie in einen Moment zu legen. Sie lebt mit ganzer Seele und ist frei, sich auch dann an einem Moment zu erfreuen, wenn er eigentlich traurig ist.“

Pfarrerin Nehring bedankte sich bei den römisch-katholischen Geschwistern, „die uns in einer berührenden und bewegenden Gastfreundschaft Raum schenken“. Die handgeschriebene Bibel werde in der Christuskirche Platz finden. „Sie wird so mobil bleiben wie wir als Gottesvolk und zu besonderen Gottesdiensten mitwandern.“ Das große Wandkreuz geht in die Jakobuskirche. Aber es könne nicht alles mitgenommen werden. Die Orgel werde zukünftig in einer Kirche in Stuttgart erklingen, die Bänke in einer Kirche in Polen stehen. „Abschied nehmen heißt auch loslassen.“

Sehr berührend war der Schluss des Gottesdienstes. Zwei Männer auf Leitern lösten das Kreuz von der Wand. Auf ein Gebet von Pfarrerin Nehring antworteten die Teilnehmenden immer wieder mit dem Gebetsruf „Geh mit uns auf unseren Wegen. Geh mit uns auf unseren Wegen“. Dann zog die kleine Schar feierlich aus. Pfarrerin Nehrling ging am Schluss und verschloss die Kirchentür.

Text: Stefan Rahmann
Foto(s): Stefan Rahmann

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