Begleitung bis zum Ende? Hospiz- und Palliativtag diskutiert Legalisierung von assistiertem Sterben

Helmut Feldmann, Mitte 70 und chronisch krank, wollte nicht „elendig ersticken“. So, wie er es bei seiner Schwester, welche an der gleichen Krankheit litt, miterlebt hatte. Intensiv hatte er sie in ihrem Sterben begleitet. Feldmann war einer der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, der erreicht hat, dass dort im Februar 2020 das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verbrieft und die Assistenz bei einem Suizid für straffrei erklärt wurden. Daran erinnerte der Leiter der ARD-Rechtsredaktion, Dr. Frank Bräutigam, beim diesjährigen Hospiz- und Palliativtag im DOMFORUM. „Begleitung bis zum Ende“ war das Podium überschrieben, das von der Hospiz- und Palliativ-Arbeitsgemeinschaft Köln, dem Palliativ- und Hospiz-Netzwerk Köln sowie dem Katholischen Bildungswerk Köln getragen wird.

Was diese Entscheidung des Gerichts für die Hospizbewegung, für Palliativmedizinerinnen und -mediziner sowie für die Kirchen bedeutet, wurde intensiv diskutiert bei dieser Veranstaltung, die vom Evangelischen Kirchenverband Köln und Region unterstützt wird. Aktuell liegen im Bundestag noch drei Gesetzentwürfe vor, die den künftigen Umgang mit dem Wunsch nach assistiertem Suizid und vor allem den Aspekt der geschäftsmäßigen Hilfe zur Selbsttötung regeln sollen. Auch hierzu bezogen die Podiumsteilnehmerinnen und -teilnehmer Position.

Kirchen treten für gute Rahmenbedingungen ein

Zu Beginn machte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger in seinem Grußwort deutlich, dass es „ein gutes Bewusstsein und einen ethischen Kompass“ geben müsse, „um nachhaltige Regelungen für die Bundesrepublik zu bekommen“. Dass es notwendig sei, bei diesem Thema wachsam zu sein und zu bleiben, zeige die Entwicklung in den Niederlanden, wo die Tötung auf Verlangen seit mehr als 20 Jahren liberalisiert sei. „Die Zahl der entsprechenden Todesfälle ist in den letzten Jahren signifikant gestiegen. Die Hemmschwelle sinkt“, sagte Seiger.

Im Hospizbereich werde der Druck steigen, weil die Ziele fluider werden, so der Stadtsuperintendent weiter. Ein Beispiel dafür, wie schwierig es werden könne, sei der Ansatz des Sterbefastens. „Das klingt nach einem natürlichen Weg. Aber wenn der Weg einmal eingeschlagen ist, geht es nicht ohne Assistenz“, erläuterte Seiger. „Denn gepflegt werden muss ja weiter und Pflegende werden mit den oft harten Momenten konfrontiert. Was ist, wenn dann Hunger und Durst sich körperlich bemerkbar machen und Linderung erbeten wird? Was macht das mit den Pflegenden?“

Es gelte, dem „nachzuspüren, was ein möglichst natürliches Umgehen mit dem Sterben und dem Tod angeht“, erklärte Seiger. „Als Kirche wollen wir eintreten für gute Rahmenbedingungen für die Patienten und Gäste im Hospiz, für ein Nutzen der Möglichkeiten der Palliativmedizin. Und auch für die Pflegenden und die Ärzte, die für das Leben eintreten, wollen wir als Kirche einstehen. Für Seelsorge und für Beistand in der letzten Lebensphase.“ Zugleich verstehe auch die Kirche, dass es „Extremfälle“ gebe, „in denen auch der Wille auf Ermöglichung des Sterbens oder gar der Wunsch nach Suizidbeihilfe unterstützt werden sollte“, machte Stadtsuperintendent Bernhard Seiger deutlich.

Kölns katholischer Stadtdechant Msgr. Robert Kleine erinnerte daran, dass die katholische und die evangelische Kirche in Deutschland 2020 besorgt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts reagiert hatten. Sie nannten das Urteil einen „Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur“ und veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung. Darin warnten die Kirchen, dass die Legalisierung organisierter Angebote zur Selbsttötung alte und kranke Menschen „auf subtile Weise unter Druck“ setzen könne, von diesen Angeboten auch Gebrauch zu machen. Die beiden Kirchen kündigten damals an, sich auch weiterhin dafür einzusetzen, „dass organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden“, erinnerte Stadtdechant Kleine.

Todes- und Lebenswunsch entwickeln sich dynamisch

„Es gibt kein Recht darauf, zu bestimmen, wann es Zeit ist zu sterben“, betonte der Theologe Ulrich Fink, im Erzbistum Köln Beauftragter für Ethik im Gesundheitswesen. Aber der Mensch habe einen freien Willen. Niemand, weder die Kirchen noch die Hospize noch jede und jeder Einzelne, werde von der grundsätzlichen Frage entlastet, „ob wir letztendlich diesen Wunsch nach Suizid ethisch rechtfertigen können“. Und in der Konsequenz, ob man als Arzt oder Pflegerin, Seelsorger oder Hospizlerin einen Menschen aktiv dabei begleiten könne und wolle, wenn er sterben will, dies aber nicht ohne Hilfe von außen – etwa Bereitstellen eines entsprechenden Medikaments – könne oder sich diese konkrete Begleitung bis zum Ende wünsche. Haupt- wie ehrenamtlichen Hospizmitarbeitern und Sterbebegleiterinnen dürfe es nicht angelastet werden, wenn sie für sich entscheiden, dass sie einem Menschen nicht bei einem Suizid assistieren könnten und wollten, erklärte der Ethiker Fink. Dies gelte auch für das Miteinander in den Teams.

Die Gründe für einen Todeswunsch seien vielfältig und ambivalent. Der Wunsch könne sich dynamisch in die eine und in die andere Richtung entwickeln, wurde bei der Veranstaltung deutlich. Nicht immer geht es um unheilbare Krankheiten oder als unaushaltbar empfundene Lebenssituationen, wenn ein Mensch sterben will. Gerade bei alten und hochbetagten Menschen spiele auch Lebenssattheit eine Rolle, schilderte Gerda Graf, Mitbegründerin und heute Ehrenvorsitzende des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands, ihre Erfahrungen.

Palliativmediziner Dr. Thomas Joist und Moderatorin Ulrike Mertesacker.

Dr. Thomas Joist, Kölner Hausarzt, Palliativmediziner und Mitgründer des Vereins „Dies certa“, berichtete aus seiner Praxis, dass das Leben oft als sinnlos empfunden werde, wenn etwa der Partner oder die Partnerin stirbt. „Dies certa“, ein Verein von Medizinerinnen und Medizinern sowie Pharmazeuten, verstehe seine Arbeit im Sinne der Suizidprävention. In intensiven, oft wochenlangen Gesprächen gehe es darum, die Gründe für einen Todeswunsch zu ermitteln.

Oft seien es Kleinigkeiten, die den Alltag als nicht mehr lebenswert erscheinen ließen. Die Schmerztabletten würden zu spät gebracht, nannte Joist als Beispiel. „Dann geht man hin und regelt an diesen Kleinigkeiten und dann ist auf einmal der Wunsch da weiterzuleben.“ Der Palliativmediziner betonte, niemand müsse Angst vor Schmerzen haben. Diese Sorge gehört zu den größten Ängsten der meisten Menschen, wenn es ums Sterben geht. „Es ist für die Palliativmedizin nicht möglich, zu jedem Zeitpunkt absolute Schmerzfreiheit zu erreichen“, erklärte Joist. „Das geht einfach nicht.“ Es gebe etwa Durchbruchschmerzen, aber dagegen gebe es auch Medikamente. „Es ist immer möglich“, mitunter unter Inkaufnahme eines eingeschränkten oder sedierten Bewusstseinszustandes, „einen schmerzfreien Zustand zu erhalten. Also seien Sie sorglos, es ist möglich“, so Joist ans Publikum.

Politik soll Regelungen treffen

Einig ist sich das Podium, dass es zweifelsfrei feststehen müsse, ob ein Mensch den Wunsch nach assistiertem Suizid wirklich aus völlig freiem Willen, nach autonomem Entschluss äußere. Des Weiteren gelte es eben, die wahren Gründe und Motive herauszufiltern. Dafür seien Räume eines offenen Gesprächs notwendig, in denen auch über Ängste gesprochen werden könne, forderte etwa Ulrich Fink.

Das Podium (v.re.): Gerda Graf, Ulrich Fink, Dr. Thomas Joist, Ulrike Mertesacker.

Die Hospizgründerin Gerda Graf nannte als einen der Hauptgründe, warum alte Menschen sterben wollen, dass sie „niemandem zur Last fallen“ wollen. Hier sei die Gesellschaft gefordert, genauer hinzuschauen: „Wie kann es sein, dass alte Menschen sich wie eine Belastung der Gesellschaft fühlen?“, so Graf. Fink konnte von einer Begegnung berichten, als Tochter und Schwiegersohn einer alten Frau mit Todeswunsch versicherten, dass sie auch dann keine Belastung für sie sei, wenn ihre Immobilität und Pflegebedürftigkeit zunehme. „Für diese Frau war das eine ,Ent-Lastung‘.“

Das Thema assistierter Suizid kann natürlich auch junge und jüngere Menschen mit unheilbarer Erkrankung oder für sie unaushaltbarer Lebenssituation betreffen. Nach der Aufhebung des Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch sei eine weitergehende rechtliche Regelung dringend geboten, war sich das Podium einig. Rechtsexperte Frank Bräutigam hatte zu Beginn erläutert, dass die Politik nach der Entscheidung des Bundeverfassungsgerichts (BVG) zwar Regelungen treffen könne, aber nach dem vorliegenden BVG-Entscheid nicht treffen müsse.

Aktuell könne quasi jede und jeder assistierten Suizid anbieten und leisten, kritisierte Dr. Thomas Joist. Auch darum haben er sowie seine Kolleginnen und Kollegen „Dies certa“ gegründet. „Wenn dieses Recht einmal da ist, und ich halte dieses Recht wirklich für wichtig, dann will ich auch etwas dazu beitragen, dass es umgesetzt werden kann – aber nicht unreflektiert“, sagte der Palliativmediziner. Beratung, intensive Begleitung und Fristen seien notwendig, war man sich einig.

Der Gesetzgeber könne Schutzmechanismen und Begleitverfahren einführen, um genau zu prüfen, wie frei und selbstbestimmt der Wille zu sterben sei, hatte der Jurist Frank Bräutigam erläutert. Wenn kein neues Gesetz komme, das den assistierten Suizid regele, „vertraut man allein auf den Willen des Menschen, der aus dem Leben scheiden möchte“, warnte er. Derzeit herrsche in Deutschland „die liberalste Situation, die man sich vorstellen kann“, so Bräutigam. „Assistierter Suizid ist nicht strafbar, niemand überprüft den freien Willen.“

Drei Gesetzesvorschläge warten auf Entscheidung

Im Sommer hat der Bundestag über drei fraktionsübergreifende Gesetzesentwürfe beraten. Eine Entscheidung steht noch aus. Die Vorschläge, wie Frank Bräutigam sie zusammengefasst hat:

Deutschlandweit soll ein Netz von Beratungsstellen geschaffen werden, um sterbewillige Menschen auf ihrem Weg zu begleiten. Eine zehntägige Frist nach einem Beratungsgespräch soll dafür sorgen, dass diese Entscheidung nochmals überprüft wird.

Der zweite Gesetzesvorschlag unterscheidet, ob es um einen Sterbewunsch bei schwerer Krankheit geht oder aus anderen Gründen. Im Fall einer schweren Krankheit verlangt dieser Entwurf, dass zwei voneinander unabhängige Ärzte klar und deutlich bezeugen müssen, dass sich beim Sterbewilligen ein nicht veränderlicher Sterbewille festgesetzt hat. Dann darf er nach einer Wartefrist von zwei Wochen ein Betäubungsmittel erhalten. Auch diese Medikamentenvergabe soll noch einmal gesetzlich geregelt werden. Wenn es um Menschen geht, die nicht schwer krank sind und aus dem Leben scheiden wollen, dann ist eine sehr langfristige Dokumentation dieses Suizidwillens erforderlich.

Der strengste Vorschlag will die geschäftsmäßige Sterbehilfe wieder unter Strafe stellen, aber Ausnahmen zulassen. Wenn man dann drei Beratungsgespräche hatte und zusätzlich eine Frist von drei Monaten eingehalten hat, dann ist es nicht strafbar beim Suizid zu helfen.

Dr. Thomas Joist hatte erläutert, dass geschäftsmäßig bedeute „auf Wiederholung angelegt“. So wie etwa die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben täglich in Köln aktiv sei. Erst, wenn jemand aus dem assistierten Suizid ein Geschäft mache, spreche man von gewerbsmäßig. Dies gelte es durch entsprechende Regelungen sowie durch einen Ausbau der sozialen Betreuung, spirituellen und psychischen Begleitung zu verhindern. „Wir Hausärztinnen und Hausärzte müssten eigentlich auch Sozialarbeiter einstellen können“, sagte Joist und zeigte sich optimistisch, dass dies in Zukunft mit Mitteln der Präventionsförderung möglich sein könnte.

Rote Linie für den Hospiz- und Palliativverband

Nicht absehbar ist, inwieweit das Bedürfnis nach assistiertem Suizid tatsächlich Menschen im Hospiz und die Mitarbeitenden in den ambulanten Hospizdiensten oder im stationären Hospiz betreffen werde. Zwar sei die Entwicklung dieses Wunsches nicht ausgeschlossen, doch gehen die Menschen ja wegen ihres absehbaren Lebensendes ins Hospiz oder lassen sich palliativmedizinisch und hospizdienstlich begleiten. Oft flackere dann das Thema Lebensqualität nochmal auf und die Bereitschaft, das Leben – gut begleitet – bis zum Schluss auszuhalten, sei groß, erläuterte Gerda Graf.

Der Deutsche Hospiz- und Palliativverband kenne eine rote Linie, so Graf. „Wir begleiten bis zum Ende, aber die Bereitschaft, dieses Mittel zu besorgen, sollte das Hospiz nicht haben“, fasste sie die aktuelle Diskussion zusammen. Man kenne aber Hospize, wo jemand in seiner Begleitungssituation gesagt habe, er wolle nicht mehr essen und trinken und wo das Hospiz dann gesagt habe: „Dann kannst du nicht mehr hierbleiben“, berichtet Gerda Graf. „Das ist für mich ein absolutes Unding!“

Sie persönlich sei beim Thema assistierter Suizid sehr ambivalent, „weil ich sage: Kch muss den Einzelfall sehen“. Das müsse auch in den Hospizdiensten besprochen und die Mitarbeitenden müssten sprachfähig gemacht werden, so Graf. „Ich wünsche mir eine gesellschaftliche Veränderung, weg von dem hohen Grad der Funktionalität, dem hohen Grad der Machbarkeit, dem hohen Grad, immer mehr finanzielle Mittel zu erwerben, wieder mehr hin ein Stück zur Mitmenschlichkeit“, sagte die Hospizexpertin der ersten Stunde abschließend. „Und den anderen anzusehen und dann auch so zu begleiten, wie er sich das wünscht.“

www.dhpv.de

Das Dialogpapier „Hospizliche Haltung in Grenzsituationen“, das der DHPV nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2021 veröffentlicht hat, können Sie hier nachlesen.

Die Gemeinsame Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland aus dem Jahr 2020 können Sie hier nachlesen.

Hospiz- und Palliativ-Arbeitsgemeinschaft Köln: www.hak-online.de

Palliativnetz Köln: www.palliativnetz-koeln.de

Bei Suizidgedanken finden Sie Hilfe bei der Telefonseelsorge unter 0800 1110111 und 0800 1110222. Sie können sich an Seelsorgerinnen und Seelsorger wenden, an Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt sowie an Ambulanzen in psychiatrischen Kliniken. Eine Übersicht über Beratungsangebote gibt es bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention unter www.suizidprophylaxe.de

Text: Hildegard Mathies
Foto(s): Hildegard Mathies

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